Regestendatenbank - 201.916 Regesten im Volltext

RI VI Rudolf I. - Heinrich VII. (1273-1313) - RI VI,4,2

Sie sehen den Datensatz 342 von insgesamt 438.

König Heinrich [1–2] widerruft und annulliert urkundlich nach sorgfältiger Beratung mit seinen Fürsten und Reichsgetreuen (imperii fidelibus) [auch] aus eigener Kenntnis die Privilegien, die der Essener Kirche von seinen Vorgängern, den Römerkaisern und -königen, in welchem Wortlaut und welcher Form auch immer, bislang verliehen und von ihm selber in allgemeiner Form bestätigt wurden, hinsichtlich der Vogtwahl, um den Streit der Kölner gegen die Essener Kirche in diesem Punkt zu beider Wohl beizulegen; denn wenn ein Privileg, das als Gnadenerweis verliehen wurde, zum Schaden führt – wie es bei der Wahl des Essener Vogtes deutlich wird, nämlich daß die Essener Kirche [dadurch] jedenfalls früher geschädigt wurde, wie die Erfahrung lehrt –, kann und muß es zu Recht widerrufen werden. Von Heinrichs Vorgängern, den Römerkaisern und königen, sei Äbtissin und Konvent des Essener [Damen-] Stifts in der Kölner Diözese das Recht der freien Vogtwahl gewährt worden, und so hätten sie über die Zeiten hinweg verschiedene Vögte gehabt. Durch diese Verschiedenheit der Vögte habe das Essener Stift öfters schwere Schäden erlitten, weil bei einer anstehenden Vogtwahl viele daran interessierte Mächtige sich eifrig um ihre Wahl bemühten, insbesondere der Nachfolger oder Erbe des verstorbenen Vogtes, der an dessen Stelle gewählt werden wollte; sei dieser nicht gewählt worden, habe er die Essener Kirche als Feind betrachtet – was oft dem Kölner Erzbischof geschah – und die Kirche mit Brand und Raub geschädigt, so daß die Vogtwahl für diese Kirche stets mehr schädlich als fruchtbringend gewesen sei, wie mehrmals die Grausamkeit der Streitigkeiten und die Anstiftung zu Kriegen um diese Vogtei gezeigt habe. In diesen Fehden seien aus diesem Grunde Kölner Erzbischöfe getötet und gefangengenommen worden, andere hätten schwere Schäden erlitten, als sie sich bemühten, jene Vogtei, von der sie versicherten, sie gehöre ihnen durch Kauf, an sich zu ziehen gegen den Willen von Äbtissin und Konvent, die sich aufgrund der ihnen gewährten Privilegien über die Vogtwahl in dieser Sache immer den Erzbischöfen widersetzt und behauptet hätten, jüngst den Adligen Graf Engelbert von der Mark zu ihrem Vogt gewählt zu haben. Aus diesem Grund sei zwischen dem Kölner Erzbischof Heinrich [II., von Virneburg], König Heinrichs Fürsten, einerseits und andererseits dem genannten Grafen und der Essener Kirche bisher die Frage offen. [3] Damit die Essener Kirche nicht auf einen Verteidiger verzichten muß, gibt König Heinrich mit Rat und Zustimmung seiner Fürsten ihr den Kölner Erzbischof Heinrich und dessen jeweiligen Nachfolger zum ständigen Vogt und stellt ihn an ihre Spitze, weil er erwogen hat, daß es besser für diese Kirche sei, einen Vogt ohne Wechsel zu haben, der ihr sowohl vorstehen als auch nützen könne; denn er erwartet, daß durch die Unterstützung des Kölner Erzbischofs, dessen Macht diese Kirche besser leiten kann, König und Heiligem Römischem Reich (sacro Romano imperio) umgehend in weltlichen Angelegenheiten geholfen ist und der Erzbischof König und Reich durch seinen Eifer bei der Verteidigung der Essener Kirche nützlich und machtvoll dient. Denn so wie König Heinrichs Vorgänger der Essener Äbtissin und dem Konvent die Vogtwahl hätten gewähren können, könne er, der die gleiche Gewalt innehabe, nachdem er aus der Vollgewalt seiner königlichen Majestät die genannten Privilegien aus ihn bewegenden Gründen zurückgenommen habe, Äbtissin und Konvent bzw. der Essener Kirche einen bestimmten und ständigen Vogt geben. Er schenkt dem Erzbischof und der Kölner Kirche aus königlicher Vollgewalt die Vogtei mit allen ihren Rechten und Zubehörden, die ihm zukünftig gehören sollen, und befiehlt ihm angelegentlich, dieselbe Kirche an Personen und Besitz mit Frömmigkeit und sorgfältigem Eifer gegen Angriffe von Feinden zu schützen und zu verteidigen. Er soll nicht mehr als die bisher üblichen Dienste und Vogteirechte von derselben Kirche fordern oder andern in seinem Namen zu fordern gestatten. [4] Er befiehlt daher Äbtissin und Konvent sowie den Bürgern in Essen und allen anderen, die es angeht, dem Kölner Erzbischof Heinrich und dessen jeweiligen Nachfolgern als Vögten der Essener Kirche zu gehorchen und ihm von den Rechten und Einkünften dieser Vogtei von jetzt an zukünftig das Schuldige und Übliche vollständig zu zahlen. [5] Außerdem gibt König Heinrich dem Kölner Erzbischof Heinrich und seiner Kirche auf dessen Bitten von jetzt an den Hof in Brackel mit seinen Rechten und Zubehörden zurück, der – wie dieser durch ein Privileg von König Heinrichs Vorgänger (Philipp) glaubhaft gemacht hat – der Kölner Kirche gehört, und befiehlt, er sei vom Grafen von der Mark oder seinen Erben bzw. welchem Besitzer auch immer aufzugeben. Denn der Kölner Erzbischof habe König Heinrich ein Privileg des verstorbenen Römerkönigs Philipp II. [!], seines Vorgängers, vorgelegt, wonach unter anderem dieser Philipp den zwischen Dortmund und Unna gelegenen Hof in Brackel, der einst dem Reich gehörte, dem Kölner Erzbischof Adolf [I., von Altena] und der Kölner Kirche übertrug; und die Erzbischöfe seien viele Jahre in dessen friedlichem Besitz gewesen. Er habe den König gebeten, ihm den Hof zurückzugeben, weil Graf Eberhard von der Mark später dafür gesorgt habe, daß ihm dieser Hof von des Königs Vorgängern zusammen mit anderen Reichsgütern in Westfalen für eine bestimmte Summe Geldes zu unrecht verpfändet wurde, indem er verschwieg, daß dieser Hof der Kölner Kirche gehörte, und vorgab, er gehöre zum Reich, unter welchem Vorwand sich der Graf und seine Erben den Hof später bis jetzt angeeignet hätten. König Heinrich aber habe bedacht, daß man eine fremde Sache nicht verpfänden dürfe und daß dem Grafen und seinen Erben aus dieser Verpfändung des genannten Hofes keinerlei Recht erwachsen sei, zumal die Schadloshaltung der Kölner Kirche den Vorrang habe, weil der Kölner Erzbischof Heinrich es aufgrund seiner außerordentlich treuen Dienste für König und Heiliges Römisches Reich verdient habe, von ihm ausgezeichnet zu werden. Der Graf solle das ihm Zustehende vernünftigerweise aus anderen Gütern, die ihm zu recht verpfändet sind, erlangen, wie es rechtens ist. – [Zisterzienser-]Bruder Heinrich, Abt von Weiler[-Bettnach und Reichs-]Hofkanzler (regalis aule cancellarius), rekognosziert stellvertretend für den Mainzer Erzbischof Peter [von Aspelt], Erzkanzler des Heiligen Reichs für Deutschland. – Imperialis seu regalis auctoritas.

Originaldatierung:
dat. Spire, IIIO non. Septembr.

Überlieferung/Literatur

*Original (Pergament, Königssiegel an roter Seidenschnur) Köln, HAStadt, Best. 210 Domstift U 1/840 mit jüngerer Rückschrift Privilegium Heinrici imperatoris VIII. de advocacia Assindensi per archiepiscopo Colon.; Insert in einer Urkunde König Ruprechts vom 7. Januar 1401, Düsseldorf, LA, Kurköln Urk. Nr. 1352; Insert in einer gleichzeitigen Abschrift eines Notariatsinstruments des öffentlichen kaiserlichen Notars Heinrich, genannt de Iubileto, vom 9. September 1310 , Köln, HAStadt, Best. 210 Domstift U 3/844; Insert in einem Vidimus des Hofrichters Michael von Maidburg Graf von Hardegg vom 27. April 1444 von einem Transsumpt Friedrichs III. vom 18. Juni 1442 von einer durch den Vizekanzler Johann Propst von Gran angefertigten Bestätigungsurkunde König Sigismunds, Düsseldorf, LA, Kurköln Urk. Nr. 2059; Abschrift von 1372–1375 im Liber privilegiorum et iurium ecclesiae Coloniensis (Maior coreaceus ruber) S. 21f. Nr. 32, ebd., Kurköln I Kartulare Nr. 1; Abschrift von 1449 in einer Urkundensammlung zu Ausgleichsverhandlungen mit Kleve fol. 30r–32v, ebd., Kurköln II Nr. 4374.

Drucke: Joannis, Tabularium, S. 33–40 Nr. 13; Lacomblet, UB Niederrhein 3, S. 68f. Nr. 93; Schwalm, MGH Const. 4, S. 366–368 Nr. 420.

Regesten: Georgisch, Regesta chronologico-diplomatica 2 (1741) S. 256 Nr. 64; Böhmer (1831) Nr. 5310; ders., Heinrich VII. (...1844) Nr. 294; Wauters, Table 8, S. 409; Kisky, Regesten der Erzbischöfe von Köln 4, Nr. 549; Rödel, Königs- und Hofgericht 1292–1313 (1992) Nr. 490.

Liste: Lüdicke, Gesamtverzeichnis (1910), Nr. 1296 noch zum Archivort Düsseldorf.

Kommentar

Nach der ausnahmsweise gebotenen Verbalinvokation beginnt die Intitulatio mit Nos Hein[ricus]. Die in der MGH-Edition anschließende Abschnittezählung wird aus Gründen verständlicher Inhaltsangabe zu Beginn nur zusammenfassend berücksichtigt. – Erwähnt bei Kopp, Geschichte der eidgenössischen Bünde 4 I (1854) S. 34. – Einzelurkunden mit den im vorliegenden Stück getroffenen Verfügungen für die jeweils Betroffenen datieren vom Vortag. Der König befiehlt darin Äbtissin und Konvent des Essener Stifts sowie den Essener Ratsleuten und Bürgern Gehorsam gegenüber dem Kölner Erzbischof als ihrem neuen ständigen Vogt und teilt Äbtissin und Konvent darüber hinaus mit, er habe ihnen das Privileg der freien Vogtwahl entzogen; oben Nrn. 611f. Graf Engelbert II. von der Mark fordert er zur freiwilligen Rückgabe des seinem Vater und ihm unrechtmäßig verpfändeten Hofes Brackel auf; oben Nr. 614. Den Mainzer Erzbischof Peter von Aspelt und den Brandenburger Markgrafen Woldemar drängt König Heinrich zudem unter dem gleichen Datum, ihre Willebriefe unter anderem zur Übertragung der Essener Vogtei an den Kölner Erzbischof und zur Rückgabe des Hofes Brackel an denselben auszustellen; oben Nrn. 610 und 609. Entsprechende Schreiben an die übrigen [Kur-]Fürsten des Reichs sind nicht erhalten, jedoch als Deperdita aus den beiden erhaltenen Briefen erschließbar. – Monogramm des Ausstellers rechts unten oberhalb der Rekognitionszeile, neben Signumzeile (Signum domini Heinrici Romanorum regis invictissimi) und Datierung: Eines der wenigen feierlichen Privilegien König Heinrichs VII., vgl. oben Nr. 305 vom 26. September 1309, ebenfalls für Erzbischof Heinrich II. von Köln.

Nachträge

Nachtrag einreichen
Einreichen
Empfohlene Zitierweise

RI VI,4,2 n. 616, in: Regesta Imperii Online,
URI: http://www.regesta-imperii.de/id/f8d394cc-3e04-486e-8441-bc855b29e3a1
(Abgerufen am 28.03.2024).