Regestendatenbank - 201.916 Regesten im Volltext

RI VI Rudolf I. - Heinrich VII. (1273-1313) - RI VI,4,2

Sie sehen den Datensatz 312 von insgesamt 438.

König Heinrich [1] verpflichtet sich rechtswirksam gegenüber Gott sowie gegenüber seinem Herrn Papst Clemens [V.], dessen Nachfolgern, dem Apostolischen Stuhl und der Römischen Kirche, diese und den katholischen Glauben aus fester Überzeugung (〈toto〉 corde et animo, pura fide et sancta inte〈ntione〉) zu bewahren, zu ehren und mit vollem Einsatz zu verteidigen, jede Häresie und jedes Schisma sowie alle Häretiker und ihre Sympathisanten nach Kräften auszurotten, zudem weder mit einem muslimischen (S〈arra〉ceno), heidnischen oder schismatischen König oder Fürsten ein Verwandtschaftsverhältnis, ein Bündnis oder eine Vereinigung einzugehen noch mit einem anderen, der keine Gemeinschaft mit dem katholischen Glauben hat, einem Aufrührer oder Widersacher gegen die Römische Kirche oder einem dessen offensichtlich Verdächtigen. Dies alles verspricht Heinrich im Bewußtsein, daß nichts heller strahlt als der rechte Glaube bei einem Fürsten und nichts weniger vom Untergang bedroht ist als die wahre Religion und daß jeder Mensch zur Furcht Gottes und zum Befolgen seiner Gebote geschaffen ist, besonders aber die kaiserliche und königliche Gewalt, die von Gott stammt und in seinem Dienst steht, um den Glauben und die Verehrung seines Namens in allen Regionen und Reichen zu verbreiten. [2] Heinrich verspricht, die Person dieses Papstes und alle Privilegien seiner Vorgänger, der Könige, Fürsten und Römerkaiser, welchen Inhalts sie auch seien und wann auch immer sie der Römischen Kirche, den Römischen Bischöfen, dem Apostolischen Stuhl und sonstigen Kirchen, deren Prälaten und Dienern verliehen wurden, zu bewahren und zu schützen sowie niemals gegen sie zu verstoßen oder dies jemand anderem zu gestatten. Zum dauerhaften Gedächtnis und zur Sicherheit der heiligen Kirche ratifiziert, bestätigt, anerkennt, erneuert und gewährt er von neuem alle diese Privilegien aus sicherem Wissen mit aller Kraft und Wirksamkeit. Diese Bestätigung soll genauso wirksam sein, wie wenn alle Privilegien einzeln, ausdrücklich und wörtlich in diese Versprechensurkunde inseriert wären. Besonders und ausdrücklich bestätigt und erneuert er alle Urkunden der Könige, Fürsten und Römerkaiser Konstantin, Karl, Heinrich, Otto IV., Friedrich II. und Rudolf für die heilige Kirche, die Römischen Bischöfe und den Apostolischen Stuhl. [3] Er verspricht, alle Privilegien der genannten Könige und Kaiser aufrechtzuerhalten, insbesondere jene, die sich auf die Territorien und Provinzen der heiligen Römischen Kirche beziehen, besonders in der Mark Ancona, im Exarchat Ravenna, in der Pentapolis, in der Grafschaft Romagna, im Tal bzw. dem Herzogtum von Spoleto mit den Städten (civitatibus) Perugia und Castello, in Massa Trabaria, im Patrimonium Petri in Tuszien mit den Städten Todi, Narni und Rieti, in der Grafschaft Sabina mit der Stadt Terni und der terra Arnulphorum sowie in den Grafschaften Campagna und Maritima, mit allen ihren Städten, Landgebieten, Marken, Bezirken und Nachbarschaften sowie mit all deren Rechten und Gerechtsamen. [4] Er erkennt an, daß alle diese Territorien und Provinzen mit allen Rechten, Gerechtsamen, Gebieten, Grenzen und Marken sowie das Eigentum daran vollständig der heiligen Römischen Kirche gehören, bestätigt sie ihr und verzichtet auf alle Ansprüche an ihnen. Um alle Bedenken zu beseitigen, Streit zu vermeiden und Frieden zwischen Kirche und Reich (imperium) zu fördern, überträgt und schenkt er die Besitzungen von neuem. Er verspricht, weder die genannten Territorien und Provinzen noch eine oder einen Teil von ihnen selber zu besetzen noch dies anderen zu erlauben, in keiner von ihnen irgendeine Gerichtsbarkeit selber oder durch Dritte auszuüben, in keiner von ihnen irgendwelche Rechte, Besitzungen oder Lehen (possessiones vel tenutas) zu haben sowie in keiner von ihnen irgendein Amt selber, durch einen Podestà, Kapitan oder unter welchem Titel auch immer auszuüben oder ausüben zu lassen. Als katholischer Fürst, Vogt und Verteidiger der heiligen Römischen Kirche wird er ihr helfen und beistehen gegen alle, die jene Provinzen oder Länder besetzen, sie überfallen oder Unruhe stiften, sowie alle Ungehorsamen und Widersacher der Kirche, besonders in jenen Gebieten, in keiner Weise unterstützen oder schützen oder dies anderen gestatten, sondern der heiligen Römischen Kirche, den Römischen Bischöfen und dem Apostolischen Stuhl gegen jene mit Hilfe, Rat und geeigneten Vergünstigungen beistehen, bis die Rebellen zur vollen Verehrung und zum Gehorsam zurückgeführt werden. [5] Er verspricht, die heilige Römische Kirche, die anderen Kirchen, die kirchliche Freiheit und alle ihre Güter, Rechte, Prälaten und Diener zu schützen, zu bewahren und nach Kräften zu verteidigen, die Vasallen der Römischen Kirche nicht widerrechtlich zu schädigen sowie die Frommen und Getreuen der Kirche, auch diejenigen im Reich (etiam in imperio), wohlwollend zu behandeln und nicht widerrechtlich zu bedrücken oder dies einem anderen zu gestatten, sondern sie in ihren Rechten und Gerechtsamen zu bewahren. [6] Alles Vorgenannte unverletzlich einzuhalten und einhalten zu lassen und niemals dagegen zu verstoßen, schwört König Heinrich auf die heiligen Evangelien Gottes, indem er das Buch in Händen des Touler Scholasters und päpstlichen Kaplans Johann de Molans berührt, der auftragsgemäß den Eid stellvertretend für die Römische Kirche entgegennimmt. Den Empfang des Eides bezeugen eine andere Königsurkunde und eine Urkunde des Eidesempfängers sowie diese Königsurkunde zu dauerhaftem Gedenken und zur Absicherung der heiligen Römischen Kirche, des Apostolischen Stuhls und der Römischen Bischöfe: Majestätssiegel angekündigt. Nach der Kaiserkrönung wird Heinrich pflichtgemäß alles Vorgenannte ratifizieren, bestätigen und anerkennen, tun und einhalten sowie einen Eid leisten. Binnen acht Tagen wird er eine Urkunde in vierfacher Ausfertigung zum dauerhaften Gedächtnis und zur Absicherung des Papstes und seiner Nachfolger sowie der heiligen Römischen Kirche und des Apostolischen Stuhles unter kaiserlichem Majestätssiegel ausstellen. – Sanctissimo in Christo patri et domino suo [...]. Ferventi 〈desiderio〉 cupientes.

Originaldatierung:
〈[d]a〉t. in Hagu〈[enow]i〉a, XV〈I. kal. Septem〉bris

Überlieferung/Literatur

*Insert im über die Eidesleistung angefertigten Notariatsinstrument des päpstlichen Kaplans und Touler Scholasters Johann de Molansvom 17. August 1310 , Original (Pergament, stark beschädigt, beschädigtes Siegel Johanns de Molansan rot-grünen Seidenfäden, Siegel des Tridentiner Elekten und Reichshofkanzlers Heinrich fehlt, Loch für Siegelschnur vorhanden), Pisa, AC, Nr. 1330; Konzept des Eidestextes aus der päpstlichen Kanzlei, Original (stark beschädigtes Pergament, Spuren zweier aufgedrückter spitzovaler Siegel) Pisa, AC, Nr. 1357.

Drucke des Notariatsinstruments: Bonaini-Berti, Acta Henrici, S. 37–42 Nr. 25, ungenau; *Schwalm, MGH Const. 4, S. 343–346 Nr. 393.

Regest: -.

Kommentar

Der umfangreiche Text – 97 Petit-Zeilen im MGH-Druck plus Datierung – wird im obigen Regest behandelt, als sei er überreich an Pleonasmen und Tautologien. Diese sind jedoch Ausdruck päpstlich-kurialen Sicherheitsbedürfnisses am nicht-römischen Aufenthaltsort und nach dem Papstarrest zu Anagni von 1303 und dürfen deshalb nicht völlig eingeebnet werden, zumal wenn rechtliche und ideelle Nuancen anklingen. Lehrhafte Ausschmückungen (?) wie der Haupt- und Lehrerin-Charakter der Römischen Kirche (MGH a.a.O. S. 344 Z. 15f.) oder das Knäuel aus verderblichen Schwänzen (caudae) von Häretikern trotz deren unterschiedlichen Gesichtern (ebd. Z. 23f.) sind nicht mitregestiert. – Durch fortschreitende Zerstörung des Originals unleserlich gewordene Stellen sind aus dem MGH-Druck ergänzt und durch spitze Klammern kenntlich gemacht. – König Heinrich leistete den Eid in der kürzeren Form, wie sie sich in dem zuvor mit dem Papst verhandelten Konzept findet, und nicht – wie das Notariatsinstrument suggeriert – in der von Papst Clemens bei der Beauftragung seiner Gesandten unter dem 27. Juni 1310 gewünschten erweiterten Fassung; oben Nrn. 487 und 488 mit Kommentar. – Im MGH-Druck hält Jakob Schwalm hingegen den Text, der den päpstlichen Bevollmächtigten als Vorlage für den Eid mitgegeben wurde (oben Nr. 488), für den ursprünglichen. Er macht sich den Argumentationsstil des Papstes zu eigen, wenn er im Kommentar zu seiner Nr. 393 S. 343 die Abweichungen des dem von König Heinrich geleisteten Eid zugrundeliegenden Konzepts (Pisa, Archivio Capitolare, Nr. 1357) von jenem Text nunmehr seinerseits der Nachlässigkeit eines päpstlichen Schreibers anlastet. Ebenso einem Mangel an Sorgfalt schreibt er es zu, daß die seiner Meinung nach falsche Vorlage von den königlichen Notaren in Hagenau verwendet worden sei. Er nimmt weiter an, daß die beiden Siegel auf dem Pisaner Konzepts, von denen heute nur noch Spuren roten Wachses in spitzovaler Form erhalten sind, identisch mit den ebenfalls nur noch rudimentär erhaltenen Siegeln des Stückes Pisa, Archivio Capitolare, Nr. 1335 vom 1. September 1310 seien, unten Überlieferung zu Nr. 608; a.a.O. Kommentare zu S. 343 Nr. 393 und S. 375 Nr. 435. – Der Trierer Erzbischof Balduin, der zusammen mit dem päpstlichen Kaplan Johann de Molansvom Papst mit der Entgegennahme des Eides beauftragt worden war, ist bei der Eidesleistung Heinrichs nicht zugegen. Möglicherweise entzog er sich der – angesichts der vom Papst einseitig erweiterten Eidesformel – heikel gewordenen Aufgabe, die ihn in einen Loyalitätskonflikt zwischen Papst und königlichem Bruder hätte bringen können; Bresslau, Erste Sendung (...1926) S. 553. Seinen Part übernahm der Reichshofkanzler und ehemalige Zisterzienserabt Heinrich von Weiler-Bettnach, dessen Wahl zum Bischof von Trient Clemens V. unter dem 27. Juni 1310 , also zeitgleich mit der Beauftragung seiner Gesandten an den Königshof, bestätigt hatte; oben Nr. 486 § 3. – Die Eidesleistung erfolgte in Gegenwart nicht nur Johanns de Molansund des Trienter Elekten, sondern auch des Kaplans des genannten Elekten Zisterzienserbruder Philipp und Magister Heinrichs von Geldern als königlicher Räte; MGH a.a.O. S. 346 Z. 8–11. – Papst Clemens V. zeigte sich mit dem von König Heinrich in der hier dokumentierten Form geleisteten Versprechenseid nicht zufrieden und pochte in einem Brief vom 16. September 1310 auf den von ihm in seinem Schreiben vom 27. Juni inserierten Wortlaut; unten Nr. 658. Schließlich ließ sich der König auf diese erweiterte Eidesformel ein und leistete den Versprechenseid erneut am 11. Oktober 1310 , kurz vor dem Übergang über die Alpen; unten Nr. 698. »Das Schwurverbot des Königs« trat in den Hintergrund; vgl. Schubert, König und Reich (1979) S. 350–353. – Mit einigem Recht sieht Menache, Clement V (1998) S. 157 in der Absichtserklärung [von § 5] »to favour [?] the devoted and pious sons of the Church« die Hoffnung ausgedrückt, Zusammenstöße mit Italiens Guelfen zu vermeiden. Daß soetwas nicht erst am 11. Oktober 1310 oder gar danach beurkundet wurde, ist allerdings gegen Menache, a.a.O. S. 156f. ausdrücklich festzuhalten. – Die 8-Tage-Frist nach der Kaiserweihe (§ 6 a. E.) einzuhalten, hatte schon König Rudolf I. dem Papst gemäß dessen ursprünglichem Wunsch zugesagt – übrigens gegen dessen nur zwei Tage jüngere Korrektur hin zum Kaiserweihetag selbst oder dem Folgetag; Böhmer/Redlich (1898) Nrn. 1062f. vom 14. Februar 1279 laut ebd. Nr. 970 vom 5. Juni 1278 und gegen ebd. Nr. 972 vom 7. Juni 1278, inzwischen gedruckt und ergänzt in Schwalm, MGH Const. 3, S. 204–211 Nrn. 221–223 bzw. S. 178–181 Nr. 193 und S. 184f. Nr. 196. Von den im vorliegenden Diplom § 3 genannten Orts- und Herrschaftsnamen tauchen nur die Mark Ancona, das Exarchat Ravenna, die Pentapolis, das Herzogtum Spoleto und Massa ebd. Nr. 222f. auf. – Wenn Menache, a.a.O. S. 156 zum 17. August 1310 herausstellt, König Heinrich habe in Hagenau seine Bereitschaft zu einem Kreuzzug ausgedrückt, kann sich eine solche Konkretisierung weder auf § 1 des vorliegenden Texts noch auf die weiteren von ihr angemerkten Belege stützen. Über die Hybridkulturen des Mittelmeerraums dürfte man am Papsthof, von dem auch dieser Wortlaut letztlich stammte, informiert gewesen sein, so daß nicht jede abwehrende Erwähnung von Sarazenen schon konkrete Kreuzzugsaktivitäten angekündigt haben dürfte. Ohnehin fanden Kreuzzugsangebote Heinrichs VII. an der Kurie »einen merkwürdig matten Widerhall;« Kraak, Rom oder Avignon (1929) S. 32, vgl. auch unten zu Nr. 592. Einschlägiges Schrifttum zu den späten Kreuzzügen, wie etwa Housley, Avignon Papacy (1986) S. 75 oder ders., Later Crusades (1992) S. 243–245, nehmen auf Heinrich VII. denn auch nur am Rande Bezug, im Kontext der Auseinandersetzungen des Papsttums mit den oberitalienischen Kommunen. Ernsthafte Pläne für einen Kreuzzug ins Heilige Land schreibt Schein, Fideles Crucis (1991) S. 240 König Heinrich zu; irrig behauptet sie, in seinem Sicherheitseid gegenüber dem Papst, stellvertretend königlichen Bevollmächtigten am 26. Juli 1309 geleistet (oben Nr. 233), habe Heinrich gelobt, unmittelbar nach seiner [Kaiser-]Krönung einen Kreuzzug zur Befreiung des Heiligen Landes zu unternehmen. Mögliche Kreuzzugspläne des Königs lassen sich jedoch allenfalls aus den dem Eid vorausgehenden Verhandlungen seiner Gesandten mit Papst Clemens V. in Avignon ableiten; oben Nr. 201 mit Kommentar. Entsprechende Vorstellungen in Bern werden unten in Nr. 683 zu 1310 September 29 – Oktober 8 belegt. – Zum Umfang des Kirchenstaats im späteren Mittelalter Waley, Papal State (1961) S. 91–95 mit Karte nach S. 337 sowie immer noch grundlegend Eitel, Kirchenstaat (1907) passim.

Nachträge

Nachtrag einreichen
Einreichen
Empfohlene Zitierweise

RI VI,4,2 n. 586, in: Regesta Imperii Online,
URI: http://www.regesta-imperii.de/id/e79fd09e-f2d6-41fe-aa72-eef7c09c2c57
(Abgerufen am 23.04.2024).