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RI VI Rudolf I. - Heinrich VII. (1273-1313) - RI VI,4,1

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Zu König Heinrich kommen Angehörige der innerböhmischen Opposition gegen König Hein­rich von Kärnten und führen Gespräche mit ihm.

Überlieferung/Literatur

Schilderungen: Chronica Aulae Regiae I 90, ed. von Emler (...1884) S.124-127, ed. von Loserth (...1875) S.227-231; Johann von Viktring, Liber certarum historiarum, ed. von Fedor Schneider, Bd.2, Rec. A, IV 5, S.12, Z.15 – S.13, Z.8, vgl. auch Rec. B.D.A2, IV 2, S.36, Z.28 – S.37, Z.6. – Regesten: Böhmer, Heinrich VII. (...1844) S.266 nach Nr.137; Würth-Paquet, Henri IV (...1862) Nr.525.

Kommentar

Peter von Zittau schildert in der Chronica Aulae Regiae als Augenzeuge ausführlich das Treffen, das nach seinen Angaben in der Minoritenkirche (in ecclesia fratrum Minorum) in Heilbronn stattfand. In seiner noch vor Ende 1317 niedergeschriebenen Dar­stellung erscheint der Zisterzienserabt Konrad von Königsaal, den er selbst als dessen Kaplan auf seiner Reise zum Kö­nigs­hof begleitete, als Abgesandter der Gegner des Böhmenkönigs Heinrich von Kärnten. Der Reise der beiden Zisterzienser vorangegangen war nach Peters Bericht in Böhmen eine Rats­ver­sammlung von Geistlichen sowie einigen Adligen und Stadt­bür­gern, denen an einer Befriedung der Ver­hältnisse gelegen war (previo ergo consilio plurium sapientum et quorundam no­bi­lium et civium, qui bonum pacis et patrie diligebant). Am 4. August verließen die zwei Ordensleute Prag und kamen nach zehn Tagereisen am 13. August beim Königshof an, der sich in Heilbronn aufhielt. Die dortigen Verhandlungen schildert Peter von Zittau in Form ausführlicher Reden Abt Konrads und des Königs. In Gegenwart des Erzbischofs Peter von Mainz und des Zisterzienser[abte]s Heinrich [von Weiler-Bettnach], des [Hofkanzlers und späteren] Bischofs von Trient, habe Abt Kon­rad dem König die unhaltbaren Zustände in seiner böhmischen Heimat geschildert (de regno devastato et de populo venio desolato) und besonders die zweitälteste, noch unverheiratete Tochter Eli­sa­beth des verstor­benen Königs Wenzel der Gna­de und Gunst Heinrichs (vestra prosequi tenetur gracia et favor pro­ficuus) empfohlen. Dieser habe zunächst die Sorge für das Königreich Böhmen nach dem Tod der recht­mäßi­gen Könige zur Aufgabe des Reichs erklärt; Böhmen sei in seiner Hand und er könne es übertragen, wem er wolle. Auf heftige Vorstellungen Abt Konrads hin habe König Heinrich schließlich am 14. August versprochen, nie­manden anders zur Königin von Böhmen zu machen als König Wenzels Tochter Elisabeth (nulla alia virgo seu femina de quacunque gente alienigena regina effici debet in Bohemia, nisi Elizabeth, regis Wenceslai filia). Nach dem erfolgreichen Abschluß der Heilbronner Verhandlungen sei der Abt von Königsaal im Anschluß an den Ma­ria-Himmelfahrts-Gottesdienst zum Generalkapitel seines Ordens in Cîteaux weitergereist (istis omnibus taliter pertrac­ta­tis dominus abbas ad generale proficiscitur capitulum), während er selbst, Peter von Zittau, voll Freude eilends nach Prag zu­rück­gekehrt sei (ast ego laetanter redii Pragam properanter).

Das Ziel der böhmischen Oppositionellen, als deren Wortführer Abt Konrad von Königsaal bei Peter von Zittau auftritt, war die Absetzung Herzog Heinrichs VI. von Kärnten, der als Gemahl Annas, der ältesten Schwester des letzten Přemysliden Wen­zel III., nach dessen Ermordung 1306 und erneut 1307 zum böhmischen König gewählt worden war. In der noch un­ver­hei­rateten zweitältesten böhmischen Königstochter Elisabeth sa­hen sie die einzige Alternative zu dem umstrittenen Landes­herrn, da Margarete als dritte der Schwestern bereits mit Herzog Bolesław III. von Liegnitz verheiratet und die jüngste Toch­ter König Wenzels II., Agnes, noch ein Kind war (* 1305). Elisabeth war nach Darstellung des Königsaaler Chronisten schon vor den Heilbronner Ge­sprä­chen für die Sache der Gegner Heinrichs von Kärnten gewonnen worden bzw. gehörte selbst gar zu den trei­ben­den Kräften, siehe Chronica Aulae Regiae I 89, ed. von Emler, S.123f.; vgl. Ed. Loserth, S.225-227.

Eine wesentlich gerafftere und weniger detaillierte Darstellung liefert der gut dreißig Jahre nach den Ereig­nis­sen schrei­bende (siehe oben den Kommentar zu Regest af) Zisterzienserabt Johann von Viktring in seinem Liber certarum historiarum. Wohl aus der Kenntnis der folgenden Ereignisse heraus läßt er die böhmischen Ge­sand­ten König Heinrich schon in Heil­bronn eine Verheira­tung seines Sohnes Johann mit der Königstochter Eli­sa­beth vorschlagen (Rec. A: quam delectamur filio vestro dari et in regno sic firmari regnumque suscipere sub­pli­camus; Rec. B.D.A2: filium vestrum filie regis nostri, que Eli­za­beth dicitur et superest sola inmaritata de tribus, iuvencula speciosa, copuletis et regem Bohemie decla­re­tis). Als Gesandte stellt er die böhmischen Ad­li­gen [Heinrich] von Leipa, [Johann] von Wartenberg und [Ul­mann] von Leuchten­berg in den Mit­telpunkt, wäh­rend er die Geistlichen – die nach der Darstellung Peters von Zittau die eigentlichen treibenden Kräfte wa­ren – nur summarisch als »einige Äbte« (cum quibusdam abbatibus religiosis) erwähnt. Nach Entlassung der Gesand­ten (di­missis nunciis Bohemorum) soll König Heinrich die Grafen von Schelklingen, von Henneberg und von Ho­henlohe ins König­reich Böhmen geschickt haben, um selbst Nachforschungen über die dortigen Zustände an­zu­stellen.

Vgl. dazu Jäschke, 1250 Jahre Heilbronn? (...1992) S.86-98, der das Geschehen vom August 1309 als »Heil­bronner Kon­zeption« charakterisiert. Demnach habe sich König Heinrich – neben einem »Wie­der­auf­grei­fen der Italien-Politik«, das durch die Rückkehr der königlichen Gesandten vom päpstlichen Hof mit der Zusage einer Kaiserkrönung Heinrichs durch Cle­mens V. binnen der nächsten drei Jahre einen zusätzlichen Anschub er­hielt – bereits hier zur Verheiratung seines Sohnes Jo­hann mit der Přemyslidin Elisabeth entschlossen und damit den Erwerb Böhmens für seine Familie in die Wege geleitet, die dadurch zu einer der führenden europäischen Dyna­stien des Spätmittelalters aufsteigen sollte (a.a.O. S.87). Auch von seiten der böhmischen Geistlichen han­del­te es sich wohl durchaus um ein »geplantes Vorgehen« und nicht um ein mehr oder we­ni­ger zufälliges Zu­sam­mentreffen mit dem Herrscher auf der Reise zum Generalkapitel ihres Ordens, das jährlich am 14. Sep­tem­ber in Cîteaux tagte. Sie sind vielmehr »als Gesandte der böhmischen Opposition gegen den kärntnischen König [zu] be­trach­ten«, zu deren Partei auch die Heiratskandidatin Elisabeth gehörte. Somit ist »von regelrechten Verhand­lun­gen am römisch-deutschen Königshof« in Heilbronn auszugehen. Dies wird auch durch die Darstellung Peters von Zittau gestützt: Im Zu­sammenhang mit den 1310 aufgenommenen Gesprächen zwischen den böhmi­schen Ständen und König Heinrich, die eine Befriedung der Lage im Königreich Böhmen zum Ziel hatten, er­wähnt er Gesandte, die bereits früher im geheimen zum Kö­nig gekommen seien (cui prius occulte legati missi fuerant; Chronica Aulae Regiae I 94, ed. von Emler, S.134; vgl. Ed. Lo­serth, S.244); dies ist wohl als Hinweis auf die zisterziensische Legation von 1309 zu deuten. Daß es bereits 1309 tatsäch­lich konkrete Ehepläne für die Kö­nigstochter Elisabeth gab, ist hingegen aus den Quellen nicht belegbar. Vielmehr scheint Hein­rich die Inter­ven­tion der Königsaaler Zisterzienser als willkommenen Anlaß zu einem königlichen Eingreifen ge­gen Hein­rich von Kärnten genommen zu haben, mit dem es bereits vorher Spannungen gab. König Heinrich betrachtete of­fen­sichtlich Böhmen nach der Ermordung Wenzels III. als heimgefallenes Reichslehen, über das er nach Gutdünken ver­fügen konn­te. Das von Peter von Zittau überlieferte Versprechen des Königs, Elisabeth zur Böhmenkönigin zu machen, ist sicher nicht so zu verstehen, daß Heinrich an eine Belehnung der unverheirateten Königstochter dach­te; die Bemerkung ist wohl viel­mehr in dieser Form der přemyslidenfreundlichen Tendenz des Königsaaler Chro­nisten geschuldet. Es ist allerdings durch­aus denkbar, daß man schon zu diesem Zeitpunkt die zusätzliche Le­gi­timierung eines künftigen Böhmenkönigs über eine Ehe mit der Přemyslidin ins Auge faßte. Konkrete Hei­rats­pläne lassen sich in den Quellen jedoch erst für das Jahr 1310 nach­weisen. Während König Heinrich wohl an­fänglich seinen noch unverheirateten Bruder Walram favorisierte, legte sich die böhmische Partei bald auf den Kö­nigssohn Johann fest, da man hoffte, daß dieser sich als Heranwachsender noch leichter mit den Sitten und Ge­bräuchen des Landes vertraut machen und somit auch eine größere Zuneigung zu der neuen Heimat fas­sen wür­de (Chronica Aulae Regiae I 95, ed. von Emler, S.134; vgl. Ed. Loserth, S.244); siehe zu diesem Komplex aus­führ­lich unten die Regesten zu den Heiratsverhandlungen im Juli 1310 in Frankfurt und zur Eheschließung Elisabeths mit Johann in Speyer im August 1310. – Zum Heilbronner Treffen siehe auch Schrenk, Heilbronn im Itinerar mittelalterlicher Herrscher (...1992) S.164f. und ausführlich zu den ZusammenhängenFranke, Kaiser Heinrich VII. im Spiegel der Historiographie (1992) S.204-211; zu den Quellen vgl. ebd. (zu Peter von Zittau) und S.249-252 und S.261f. (zu Johann von Viktring). – Zur Si­tua­tion in Böhmen seit dem Tod König Wenzels III. vgl. Prinz, Böhmen im mittelalterlichen Europa (1984) S.136-138 und S.140f.; Jäschke, Europa um 1300 (1999) S.118; Hoensch, Die Luxemburger (2000) S.37f.; Thorau, Heinrich VII. (...2003) S.383f. – Ein Diplom »für den Abt von Königssaal« [!], das Knupfer, UB der Stadt Heilbronn 1 (1904) S.34 A.1 für den 14. August suggerieren könnte, scheint es nicht gegeben zu haben. Th.

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Empfohlene Zitierweise

RI VI,4,1 n. 252, in: Regesta Imperii Online,
URI: http://www.regesta-imperii.de/id/1309-08-13_3_0_6_4_1_294_252
(Abgerufen am 18.04.2024).