Regestendatenbank - 201.916 Regesten im Volltext

RI IV Lothar III. und ältere Staufer (1125-1197) - RI IV,4,4,2

Sie sehen den Datensatz 81 von insgesamt 1279.

(Teil a): (Lucius III.) verkündet feierlich durch dieses Dekret, daß er in Gegenwart Kaiser Friedrichs (I.) (Friderici ... Romanorum imperatoris semper augusti presentia) mit dessen Tatkraft und mit dem Rat seiner Brüder, der Patriarchen und der Erzbischöfe sowie vieler Fürsten (fratrum nostrorum consilio necnon aliorum patriarcharum, archiepiscoporum multorumque principum) jede Art von Häresie verdammt und daß er (1) festsetzt, Katharer und Patarener und jene, die sich fälschlich Humiliaten oder Arme von Lyon nennen, sowie Passagianer, Josefiner und Arnoldisten (Catharos et Patarinos et eos, qui se Humiliatos vel Pauperes de Lugduno falso nomine mentiuntur, Passaginos, Iosephinos, Arnaldistas) sollen ewig dem Anathem unterworfen sein; niemand darf privat oder öffentlich predigen, ohne vom Papst oder dem Ortsbischof autorisiert zu sein, und alle, die anderes über die Sakramente denken oder lehren als die Römische Kirche, sowie grundsätzlich alle, die von kirchlichen Autoritäten als Häretiker verurteilt werden, sollen dem Anathem verfallen; ebenso ist mit deren Beschützern und Verteidigern sowie mit allen, die sie irgendwie begünstigen, zu verfahren; (2) bestimmt, Geistliche sollen bei offener Häresie der Vorrechte ihres geistlichen Standes entkleidet, des Amtes und Benefiziums beraubt und dem weltlichen Gericht zur Bestrafung übergeben werden, wenn sie nicht sofort nach der Entdeckung zum Glauben zurückkehren, öffentlich ihrer Irrlehre abschwören und Genugtuung leisten; letzteres gilt auch für Laien; (3) legt fest, diejenigen, die nur verdächtigt werden, sollen ebenso verurteilt werden, wenn sie nicht vor dem Bischof ihre Unschuld durch angemessene Reinigung beweisen können; alle, die bei der Rückkehr zur Häresie entdeckt werden, sind sofort ohne Anhörung dem weltlichen Gericht zu übergeben; die Güter der betroffenen Geistlichen sollen deren Kirchen zufallen; (4) befiehlt allen Patriarchen, Erzbischöfen und Bischöfen, die Exkommunikation aller Häretiker bei allen Hochfesten und sonstigen feierlichen Handlungen zu erneuern; Bischöfe, die sich dabei als nachlässig erweisen, sind von ihrer Würde und der Verwaltung ihrer Diözese auf drei Jahre zu suspendieren; (5) fügt mit bischöflichem Rat und der Unterstützung des Kaisers und seiner Fürsten hinzu, Erzbischöfe und Bischöfe sollen selbst oder vertreten durch ihre Archidiakone ein oder zwei Mal die Pfarreien besuchen, von denen die Rede geht, dort wohnten Häretiker, und drei gut beleumundete Männer oder notfalls die ganze Nachbarschaft (viciniam) schwören lassen, daß sie Häretiker, Teilnehmer geheimnisvoller Versammlungen und solche, die sonst von christlichen Sitten abweichen, anzeigen werden; die Beschuldigten sollen vorgeladen und von den Bischöfen bestraft werden, wenn sie sich vor dem Bischof oder dem Archidiakon nicht nach Gewohnheitsrecht (patrie consuetudinem) reinigen können oder nach der Reinigung zum Irrglauben zurückkehren; jene, die nicht schwören wollen, sind schon deshalb Häretiker und entsprechend zu bestrafen; (6) legt darüber hinaus fest, Grafen, Barone, Rektoren und Konsuln sollen persönlich unter Eid versprechen, Erzbischöfen und Bischöfen gegen Häretiker zu helfen sowie gemäß ihrem Amt und ihren Möglichkeiten die kirchlichen und kaiserlichen Statuten gegen sie zur Ausführung zu bringen; falls sie das nicht beachten wollen, verlieren sie ihr Amt, können keine anderen Ämter bekleiden und sollen exkommuniziert und ihr Besitz dem Interdikt unterworfen werden; die Stadt, die sich diesen Beschlüssen widersetzt oder trotz bischöflicher Ermahnung jene nicht bestraft, die Widerstand leisten, unterliegt dem Handelsboykott und verliert ihren Bischofssitz; (7) entscheidet, alle, die Häretiker begünstigen, zu dauernder Infamie zu verurteilen, von Rechtsvertretung, Zeugenfähigkeit und öffentlichen Ämtern auszuschließen sowie diejenigen, die exemt sind, ungeachtet ihrer Privilegien in allem, was die Gesetze gegen die Häretiker anlangt, den Erzbischöfen und Bischöfen gleichsam wie delegierten Richtern zu unterwerfen. (Teil b): (Lucius III.) erklärt, daß Vögte, die sich anmaßen, Geistliche willkürlich ein- und abzusetzen, die Vogtei nach Belieben zu veräußern, genannte Abgaben von den Bauern der Kirchen zu erpressen und Handlungen Geistlicher nach Gutdünken für ungültig zu erklären, aufhören sollen, die Kirchen zu beschweren, seien sie Vögte, Patrone, Vicedomini, Kustoden oder Personen, die eine guardia innehaben; bestimmt, daß sie nichts fordern dürfen außer der alten und bescheidenen, durch die Bischöfe festgesetzten Abgabe der Laien, und exkommuniziert werden sollen, wenn sie es dennoch tun, und setzt fest, daß bestehende sowie künftige Verträge dieser Art kassiert werden und ungültig sind, und daß das Rechtsmittel der Appellation gegen diese Kapitel, sowohl hinsichtlich der Häretiker als auch der Vögte ausgeschlossen ist.

Incipit:
Ad abolendam diversarum heresium pravitatem / Preterea quoniam advocati ecclesiarum in

Überlieferung/Literatur

Drucke: LABBÉ, Concilia 13 Sp. 642-643 Nr. 3 (Teil a); Bull. Rom., ed. COCQUELINES 3 S. 9-10 Nr. 8, ed. TOMASSETTI S. 20-22 Nr. 8 (Teil a); MANSI, Collectio 22 Sp. 476-478 Nr. 3 (Teil a); FEJÉR, Codex dipl. Hungariae 2 S. 205-209 (Teil a); Migne, PL 201 Sp. 1297-1300 (Teil a); Comp. 1 lib. 5 tit. 6 c. 11 (ed. Friedberg S. 57) (Teil a); Dekr. Greg. lib. 5 tit. 7 c. 9 (ed. Friedberg Sp. 780-782) (Teil a); Dekr. Greg. lib. 3 tit. 38 c. 23 (ed. Friedberg Sp. 616-617) (Teil b); FRÉDÉRICQ, Corpus docum. inquisitionis 1 S. 52-56 Nr. 56 (Teil a); SELGE, Texte (Teil a und Schluß von Teil b); FEARNS, Ketzer S. 61-63 Nr. 21 (Teil a); PETERS, Heresy S. 170-173 (engl. Übersetzung von Teil a); GONNET, Enchiridion 1 S. 50-53 Nr. 3 (Teil a, zu 1184 November 4).

LABBÉ, Concilia 13 Sp. 642-643 Nr. 3 (Teil a); Bull. Rom., ed. COCQUELINES 3 S. 9-10 Nr. 8, ed. TOMASSETTI S. 20-22 Nr. 8 (Teil a); MANSI, Collectio 22 Sp. 476-478 Nr. 3 (Teil a); FEJÉR, Codex dipl. Hungariae 2 S. 205-209 (Teil a); Migne, PL 201 Sp. 1297-1300 (Teil a); Comp. 1 lib. 5 tit. 6 c. 11 (ed. Friedberg S. 57) (Teil a); Dekr. Greg. lib. 5 tit. 7 c. 9 (ed. Friedberg Sp. 780-782) (Teil a); Dekr. Greg. lib. 3 tit. 38 c. 23 (ed. Friedberg Sp. 616-617) (Teil b); FRÉDÉRICQ, Corpus docum. inquisitionis 1 S. 52-56 Nr. 56 (Teil a); SELGE, Texte (Teil a und Schluß von Teil b); FEARNS, Ketzer S. 61-63 Nr. 21 (Teil a); PETERS, Heresy S. 170-173 (engl. Übersetzung von Teil a); GONNET, Enchiridion 1 S. 50-53 Nr. 3 (Teil a, zu 1184 November 4).

JL 15109 und JL 2 S. 469 (zu 1184 [November 4]); ANDREWS, Humiliati S. 254 Nr. 2 (zu 1184 November 4).

Kommentar

Zur Überlieferung dieser Dekretale vgl. auch SINGER, Beiträge S. 157f. und S. 210, DEETERS, Bambergensisgruppe S. 314, CHENEY/CHENEY, Studies S. 192 und S. 199 sowie COLKER, Trinity College Library S. 477. Zum Zeitraum der Abfassung des Textes vgl. PAPINI, Valdo di Lione S. 155. – Die Numerierung von Teil a der Dekretale folgt den Absätzen des Druckes bei Selge. Die beiden Teile a und b kommen in den Dekretalensammlungen nur getrennt vor, vgl. HOLTZMANN, Dekretalen Gregors VIII. S. 118 Nr. 13. Beide Teile sind jedoch zusammen in der Urk. Lucius' III. von 1185 März 4 für Bischof Peter von Arras (mit geringfügigen Abweichungen dem Empfänger entsprechend und ohne namentliche Aufzählung der häretischen Gruppen) in einer Abschrift aus dem Orig. überliefert (Reg. 1517), woraus Ramackers in der Vorbem. zum Druck dieser Urk. schloß, daß die Beschlüsse von Verona in der folgenden Zeit dem Episkopat mitgeteilt worden seien. Eine Adresse ist in der Überlieferung nirgends erwähnt, ebensowenig wie ein Datum, das in der Literatur jedoch oft mit 1184 November 4 angegeben wird und auf die Nachricht Radulfs von Diceto (ed. Stubbs 2 S. 30, JL 2 S. 469) zurückgeht, nach der an diesem Sonntag Papst und Kaiser in zahlreicher Begleitung im Dom in Verona (quarto die intrantis novembris consedentibus Verone in ecclesia maiori papa et imperatore, cardinalibus et plerisque ecclesie rectoribus) bei der Kreuzzugspredigt des Erzbischofs Gerhard von Ravenna zusammengetroffen seien. Aus der erwähnten Anwesenheit des Kaisers ergibt sich die Datierung auf Mitte Oktober (DF.I. 4 S. 111 Nr. 872, zu 1184 Oktober 19) bis Anfang November (DF.I. 4 S. 127-128 Nr. 883, zu 1184 November 4); Friedrich reiste anschließend nach Venetien und ist November 16 in Vicenza nachzuweisen (DF.I. 4 S. 128-131 Nr. 884). Zwischen Ende November und Weihnachten ist er zwar vielleicht noch einmal in Verona gewesen, aber die Verhandlungen mit Lucius III. und die Verkündung dieses Dekrets gehören zu dem ersten längeren Aufenthalt des Kaisers in Verona, vgl. OPLL, Itinerar S. 223 und OPLL, Friedrich Barbarossa S. 143f. Über die Anwesenden sind wir durch die Zeugenlisten der kaiserlichen Diplome aus Verona sowie durch die Unterschriften der päpstlichen Privilegien unterrichtet, vgl. die Liste der Kardinalsunterschriften im Anhang und SCHEFFER-BOICHORST, Friedrich' I. letzter Streit S. 48f. – LANDAU, Rechtsfortbildung S. 123 sieht in Ad abolendam das einzige Beispiel eines allgemeinen 'Gesetzes' aus dem Pontifikat Lucius' III., decretum generale nennt Lucius selbst seine Verfügungen. – Vgl. zur Geschichte der Ketzerei allgemein LEA, Inquisition 1 S. 122ff., zum 'Konvent' von Verona (von einem 'Konzil' sollte man besser nicht sprechen) HEFELE-LECLERQ, Histoire conciles 5,2 S. 1177ff. sowie zu Teil a MAISONNEUVE, Études S. 151ff. und DAL PINO, Povertà S. 79f. Zu den einzelnen in Teil a (1) genannten Gruppen vgl. besonders Maisonneuve S. 151f.; einen Überblick gibt GRUNDMANN, Religiöse Bewegungen S. 487ff. Vgl. zu den Häretikern auch Reg. 1156, wonach Lucius III. schon 1184 Juni 29 die Waldenser und die Patarener als Häretiker exkommuniziert haben soll. Zur Geschichte der Katharer in dieser Zeit vgl. BORST, Katharer S. 98ff., S. 250 zu ihrem Namen Patarener sowie S. 112 Anm. 11 zu den Passagianern und Josefinern und S. 88 zu den Anhängern Arnolds von Brescia. Zu den Katharern vgl. auch GRUNDMANN, Ketzergeschichte S. G 22ff., zu den Armen von Lyon oder Waldensern S. G 28ff., SELGE, Waldenser 1 S. 284ff., CAMERON, Waldenses S. 19ff. sowie RUBELLIN, Lyon et Valdè S. 51ff. Zur These, die Waldenser seien nicht zu den Häretikern gezählt worden, vgl. GONNET, Concilio S. 25ff. Zu den Humiliaten vgl. Grundmann S. G 31f., ZANONI, Umiliati S. 25ff., S. 71, S. 74 und S. 86 sowie ANDREWS, Humiliati S. 39ff. Zu den Arnoldisten vgl. MERLO, Heresis Lumbardorum S. 87ff., zu den Passagianern PATSCHOVSKY, Feindbilder S. 333f. und allgemein OBERSTE, Albigenser S. 38f. – Mit Teil a der Dekretale befassen sich vor allem im Rahmen der Entwicklung der Ketzergesetzgebung ALBERZONI, Umiliati S. 196ff., MACERATINI, Ricerche S. 349ff., SCHARFF, Häretikerverfolgung S. 37ff., TIERNEY, Foundations S. 117f. und LAMBERT, Häresie S. 64ff. Zur Rezeption der Bestimmungen durch das 4. Laterankonzil vgl. Constitutiones Concilii quarti Lateranensis, ed. GARCÍA y GARCÍA c. 3 S. 47-51. Zur in Teil a (2) geforderten Bestrafung der Geistlichen vgl. HINSCHIUS, Kirchenrecht 5 S. 58f. und FINDLAY, Canonical Norms S. 68f. und S. 84, zur Rolle der Bischöfe vgl. D'ALATRI, Vescovo S. 350ff. (S. 114ff.). – Zur besseren Lesart der Eingangswörter von a (5) (statt de episcopali consilio et suggestione ist nach Coll. Rotomagensis de speciali consilio et suggestione culminis imperialis zu lesen), die durch den Text von Reg. 1517 indirekt bestätigt wird, vgl. LANDAU, Rechtsfortbildung S. 122f. – Zur Zusammenarbeit mit dem Kaiser vgl. GIESEBRECHT-SIMSON, Kaiserzeit 6 S. 92ff. und Anmm. S. 621f. (mit Hinweis auf die erzählenden Quellen) sowie DIEHL, Ad abolendam S. 1ff., der ebenfalls die erzählenden Quellen anführt, und PETERS, Crimen exceptum S. 180f. Zum verlorenen Kaisergesetz gegen die Häretiker (DF.I. 4 S. 468 Nr. *1188) vgl. Baaken, Unio regni S. 87f. (S. 227f.) und allgemein WALTHER, Päpstliche Ketzerpolitik S. 106f. – Zur in Teil a (7) erwähnten Infamie bei Häresie vgl. LANDAU, Die Entstehung des kanonischen Infamiebegriffs S. 46f. – Zu Teil b vgl. LANDAU, Ius patronatus S. 9 Anm. 32, der feststellt, daß in dieser Dekretale ius advocatie im Sinne von Patronat begegnet, vgl. auch S. 82f., offensichtlich aber nicht durchgängig, da advocati und patroni nebeneinander aufgeführt werden. Landau weist auf die Bezeichnung aller grundherrlichen Rechte als advocatio in der englischen Kirche hin. Die in die Comp. 1 lib. 3 tit. 33 (ed. Friedberg S. 40-42) unter dem Titel De iure patronatus et ecclesiis a laicis concessis aufgenommenen Dekretalen beziehen sich größtenteils auf englische Verhältnisse. Unter dem benutzten Wort Vogt ist also nicht der advocatus zu verstehen, wie er im 12. Jh. als Schutzvogt im deutschsprachigen Raum begegnet. Zur besonderen Form der Vogtei in Oberitalien vgl. RIEDMANN, Vescovi, der ausführlich den Sonderfall Aquileia bespricht, aber S. 39ff. auch allgemeine Ausführungen macht. – Die Teile a und b tragen in der Sammlung Walther Holtzmanns als WH 13 (KI 15) verzeichnet.

 

Verbesserungen und Zusätze (2012):

Zur Ketzerdekretale Ad abolendam vgl. zuletzt Raag, Ketzer und Recht, S. 109-113. Eine deutsche Übersetzung von Teil (a) findet sich bei Reuter, Summa pontificia 1 S. 245-247, eine Teilübersetzung bei Denzinger, Kompendium S. 333 Nr. 760-761. Die Dekretale ist in der Sammlung Walther Holtzmanns als WH 13 (KI 15) verzeichnet.

Verbesserungen und Zusätze (2018):

Zur Sache vgl. jetzt MURAUER, Hanc penam ecclesia non imponit S. 58-60.

Nachträge

Nachtrag einreichen
Einreichen
Empfohlene Zitierweise

RI IV,4,4,2 n. 1247, in: Regesta Imperii Online,
URI: http://www.regesta-imperii.de/id/1184-10-04_1_0_4_4_2_81_1247
(Abgerufen am 19.04.2024).