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RI III Salisches Haus (1024-1125) - RI III,2,3

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Heinrich wird durch Papst Gregor VII. gegenüber den päpstlichen Getreuen im deutschen Reich (fidem christianam defendentibus in regno … Teutonico habitantibus) als ‚sogenannter König‘ (dictus rex) bezeichnet, der (auf der Fastensynode) nicht nur exkommuniziert, sondern auch der königlichen Würde entsetzt worden sei (sit … a regia dignitate depositus); die Adressaten werden dennoch ermahnt, Heinrich gnädig aufzunehmen, falls er sich aus ganzem Herzen bekehren sollte (ut eum benigne, si ex toto corde ad Deum conversus fuerit, suscipiatis) – dies auch eingedenk der unvergleichlichen Verdienste seiner Eltern um das Imperium (nec vos pretereat pia et nobilis memoria patris eius et matris, quibus non possunt nostra ętate ad imperii gubernacula inveniri ęquales). Gregor gibt der Hoffnung Ausdruck, daß Heinrich häretische und simonistische Ratgeber, durch welche er zur Spaltung der Kirche veranlaßt werde, entfernen werde und daß er fortan die Freiheit und Herrschaftsgewalt der Kirche achten werde (Non ultra putet sanctam ecclesiam sibi subiectam ut ancillam, sed prelatam ut dominam. Non … consuetudines superbie contra libertatem sanctę ecclesię inventas defendat), fordert die Adressaten auf, ihn, den Papst, gegebenenfalls über Heinrichs Einlenken (Quodsi de his et aliis iure ab eo exigendis vos securos modis quibus oportet reddiderit) durch geeignete Gesandte zu informieren, um durch gemeinsame Beratung zu einem Ergebnis zu kommen, untersagt (erneut) seine Lossprechung ohne Rücksprache mit dem Apostolischen Stuhl, fordert aber für den Fall seiner Nichtbekehrung die Wahl eines anderen Königs, der im Sinne der christlichen Religion und zum Heil des ganzen Reiches zu handeln verspricht, dessen Eignung jedoch durch den Papst geprüft und bestätigt werden müsse, so wie es auch von seinen Vorgängern gehandhabt worden sei (Quodsi … ex corde non fuerit ad Deum conversus, talis ad regni gubernacula Deo favente inveniatur, qui ea … quę videntur christianę religioni et totius imperii saluti necessaria, se certa ac indubitabili promissione observaturum promittat. Ut autem vestram electionem … apostolica auctoritate firmemus et novam ordinationem … corroboremus, sicut a sanctis nostris patribus factum esse cognoscimus, … personam et mores eius … nobis indicate), verweist auf den der Kaiserin Agnes von den Fürsten für den Fall des vorzeitigen Todes ihres Sohnes geleisteten Eid (De iuramento autem, quod factum est karissimę filię nostrę Agneti imperatrici augustę, si filius eius ex hac vita ante ipsam migraret, non est opus adhuc dubitare) (vgl. Reg. 76), gibt der Hoffnung Ausdruck, daß sie sich nicht dessen Entfernung aus dem Königtum widersetzen würde, und rät für diesen Fall, auch deren Rat einzuholen hinsichtlich der für das Königtum ausgewählten Person (consilium ab ea et a nobis requiratur de inventa persona ad regni gubernacula).

Überlieferung/Literatur

Brief Gregors VII. an die Getreuen im deutschen Reich vom 3. September 1076 (Reg. IV, 3 [MGH Epp. sel. 2, 298 ff.]).

Kommentar

Zur erstmaligen Erwähnung einer Absetzung Heinrichs IV. in diesem Schreiben und zur Diskussion, ob dies der Intention Gregors VII. bereits im Februar 1076 entsprach, vgl. den Kommentar zu Reg. 794. ‒ Nach Hlawitschka, Zwischen Tribur und Canossa, HJb 94 (1974) 31 f. mit Anm. 28 habe Gregor VII. gegenüber den vorangegangenen Sommermonaten (vgl. die Reg. 821. 822. 827. 828 behandelten Briefe) eine "verhärtete Position" eingenommen, was sich auch in der Titulatur (dictus rex) und der Erwägung einer Neuwahl äußere. Damit widerspricht er Beumann, Tribur, Rom und Canossa (VuF 17, 1973) 54, der in den daran geknüpften Bedingungen einen Versuch Gregors VII. sehen möchte, eine Neuwahl eher zu verhindern. ‒ Melve, Inventing the Public Sphere (2007) 241 ff. betont dagegen ebenfalls den versöhnlicheren Ton des Schreibens. ‒ Fried, Der Pakt von Canossa, in: Faszination der Papstgeschichte (2008) 178 ff. vertritt darüber hinaus die Auffassung, das Schreiben stehe in Zusammenhang mit einer Vermittlungsinitiative des Abtes Hugo von Cluny, der Kaiserin Agnes sowie der Markgräfin Mathilde von Tuszien, wel-che er auf August 1076 oder früher datiert (vgl. auch R. Schieffer, Papst Gregor VII. (2010) 59; sowie Reg. 846). Hierbei stützt er sich auf eine Nachricht Arnulfs von Mailand zu der geplanten Versammlung in Augsburg (vgl. Reg. 838) (Arnulf. Mediol. V, 8 [SS 8, 30 = SS rer. Germ. 1994, 228]: Interim conscilio ... Cluniensis abbatis, Agnetis .... nec non ... Matilde statuitur generale colloquium inter ipsos [sc. principes], regem et apostolicum pacis ac iustitie causa). Anders als im kurz vorangegangenen Schreiben (vgl. Reg. 828) habe Gregor VII. nunmehr beiden Seiten Offerten gemacht: "Sie zeigten den Königlichen den Weg, um der drohenden Wahl eines Gegenkönigs zu entkommen, ohne der Gegenseite eine solche kategorisch zu verbieten, dieselbe aber dennoch einer päpstlichen Prüfung zu unterwerfen." Frieds Interpretation widerspricht Patzold, Frieds Canossa, Geschichte heute 6/2 (2013) 22: "Der Brief ist … keineswegs ein Aufruf zum Frieden; er legt systematisch dar, mit welcher Begründung und welchem Verfahrensgang die Fürsten einen neuen König wählen können." Vgl. auch ebd. 28 und 37 f. Anm. 70 f.; sowie Althoff, Das Amtsverständnis Gregors VII., FMASt 48 (2014) 269 f. ‒ Zum Approbationsanspruch Gregors VII. im Falle einer Königswahl vgl. Berges, Designationsrecht (Studi Gregoriani 2, 1947) 199 ff. ‒ Zu dem der Kaiserin Agnes für den Fall des Ablebens Heinrichs IV. geleisteten Eid vgl. die in Reg. 76 genannte Literatur. Robinson, Henry IV (1999) 154 betont, daß der Eid seine Aktualität aufgrund des ,geistlichen Todes‘ des exkommunizierten Königs erhalten habe. Berges, Designationsrecht (Studi Gregoriani 2, 1947) 201 f. sieht hier jedoch das Designationsrecht der Kaiserin zum reinen Konsensrecht zusammengeschrumpft. Zu den Hintergründen vgl. auch Schubert, Königsabsetzung im deutschen Mittelalter (Abh. Göttingen 3. Folge 267, 2005) 143 f. ‒ Zum Vorwurf der Verletzung der Freiheit der Kirche vgl. Szabó-Bechstein, Libertas ecclesiae (Studi Gregoriani 12, 1985) 163 f., welche den Begriff libertas hier als von Christus verliehenes Recht ‒ versus consuetudines als "von menschlichem Hochmut erfundenes Gewohnheitsrecht" ‒ interpretiert. ‒ Abermals wird den Bischöfen unter den Empfängern gestattet, bußfertige Exkommunizierte, soweit es sich nicht um den König selbst handelt, loszusprechen (vgl. Kommentar zu Reg. 822). Zum Inhalt vgl. auch die Erwähnung des Briefes in Reg. 794. ‒ Schneider, Prophetisches Sacerdotium (1972) 198 Anm. 644 möchte in dem Schreiben ebenso wie in dem kurz zuvor abgefaßten (vgl. Reg. 828) eine Positionsbestimmung Gregors VII. angesichts des bevorstehenden Fürstentags in Tribur (vgl. Reg. 836. 838) erkennen. ‒ Vgl. Mirbt, Publizistik im Zeitalter Gregors VII. (1894) 172; Meyer von Knonau, Jbb. 2, 721 ff. und Exkurs VI, 891; Hauck, Kirchengeschichte Deutschlands3-43, 805; Hefele-Leclercq, Histoire des conciles25, 177 f.; Brackmann, Heinrich IV. und der Fürstentag zu Tribur, HV 15 (1912) 158 ff.; Sellin, Burchard II. Bischof von Halberstadt (1914) 123; Fliche, La réforme grégorienne 2 (1925) 298 f.; Göller, Papsttum und Bußgewalt, Röm. Quartalschr. 40 (1932) 328; Bulst-Thiele, Kaiserin Agnes (1933) 102 f.; Arquillière, Saint Grégoire VII (1934) 156 ff.; Erdmann, Tribur und Rom, DA 1 (1937) 378 f. mit Anm. 4; Brackmann, Tribur, Einzelausg. aus den SB d. Preuß. Akad. d. Wiss., Philos.-Hist. Klasse 9 (1939) 21; Haller, Der Weg nach Canossa, HZ 160 (1939) 250 ff. und 261 f.; Tellenbach, Zwischen Worms und Canossa, HZ 162 (1940) 317; Baethgen, Zur Tribur-Frage, DA 4 (1941) 399 ff.; Fliche, Grégoire VII, à Canossa (Studi Gregoriani 1, 1947) 374 f. und 377, in dt. Übers.: Canossa als Wende (1963) 251 f. und 254; Berges, Designationsrecht (Studi Gregoriani 2, 1947) 197 ff.; Arquillière, Le sens juridique de l’absolution de Canossa, in: Actes du Congrès de Droit Canonique (1950) 158 f.; ders., Grégoire VII, à Canossa (Studi Gregoriani 4, 1952) 15 ff., in dt. Übers.: Canossa als Wende (1963) 284 ff.; von den Steinen, Canossa (1957) 65 f.; Schneider, Prophetisches Sacerdotium (1972) 188 und 198 Anm. 644; Jakobs, Rudolf von Rheinfelden (VuF 17, 1973) 93; Schlesinger, Wahl Rudolfs von Schwaben (VuF 17, 1973) 69; De Matteis, La riconziliatione di Canossa, in: Studi Matildici (1978) 227; Boshof, Heinrich IV. (1979) 69; Giese, Stamm der Sachsen (1979) 34 f. mit Anm. 93; Tellenbach, Westliche Kirche (1988) 191; R. Schieffer, Freiheit der Kirche (VuF 39, 1991) 52; Struve, Gregor VII. und Heinrich IV. (Studi Gregoriani 14, 1991) 37 f., wieder in: ders., Salierzeit im Wandel (2006) 101 mit 311; ders., Stellung des Königtums (Salier 3, 1991) 224; Cowdrey, Pope Gregory VII (1998) 147 und 149; Laudage, Gregor VII. – ein intoleranter Papst? (VuF 45, 1998) 61; Robinson, Henry IV (1999) 154; Boshof, Salier (42000) 224 f.; Schubert, Königsabsetzung im deutschen Mittelalter (Abh. Göttingen 3. Folge 267, 2005) 140 f.und 143 f.; Althoff, Heinrich IV. (2006) 147 f.; Gresser, Synoden und Konzilien in der Zeit des Reformpapsttums (2006) 163; Münsch, Heinrich IV. in publizistischen Texten, in: Salier, Reich und Niederrhein (2008) 184; R. Schieffer, Papst Gregor VII. (2010) 58 f.; Fried, Canossa (2012) 112; Muylkens, Reges geminati (2012) 103 ff.; Althoff, Kontrolle der Macht (2016) 173 f.

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Empfohlene Zitierweise

RI III,2,3 n. 829, in: Regesta Imperii Online,
URI: http://www.regesta-imperii.de/id/f14f84b8-9ebb-41a6-9586-4c4e5439f74b
(Abgerufen am 20.04.2024).