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RI II Sächsisches Haus (919-1024) - RI II,3

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Gerbert richtet von Reims, wo er von dem heimlichen Anmarsch der französischen Könige, Lothar und dessen Sohnes Ludwig, an den Rhein nach Breisach erfahren hat, vielleicht sogar Zeuge desselben geworden war, in höchster Aufregung ein Schreiben an Bischof Notger von Lüttich und mahnt ihn, Otto III. die Treue zu halten.

Überlieferung/Literatur

Lettres de Gerbert, No. 39 (Havet) S. 37: Vigilasne, pater patriae, famosissimae quondam fidei pro castris C., an caeca premit te fortuna et temporis ignorantia? Divina et humana iura pessumdari simul non cernis? Ecce palam destituitur, cui ob paterna merita fidem devovisti, devotam servare debuisti. Germanum Brisaca Rheni litoris Francorum reges clam nunc adeunt, Henricus rei publicae hostis dictus kal. febr. occurrit. Consule, mi pater, modis omnibus resistendum, ne conveniant adversus Dominum, et adversus Christum tuum. Turba regnans regnorum perturbatio. Si totam difficile est excludere, partem delige potiorem. Ego quidem cui ob beneficia Ottonis multa est fides circa herilem filium, sic protinus delibero. Novimus Henrici alta consilia, Francorum impetum; sed quem finem habeant non ignoramus. Ne consortem regni facias, quem semel admissum repellere nequeas.

Kommentar

Diesem Schreiben kommt die größte Bedeutung für das Verständnis und den zeitlichen Ansatz der Vorgänge während des Thronstreites zu. Entscheidend ist daher seine Datierung, die von der Beantwortung der Frage abhängt, ob die Briefe Gerberts in chronologischer Ordnung überliefert sind oder nicht. Der letzte Herausgeber, J. Havet (1889) und N. Bubnow, dem wir die eingehendste Untersuchung der Briefe zu danken haben (Sbornik pisem Gerberta 2 (1890) 263 ff., Anm. 204 ff.) verlegen Nr. 39 entsprechend seiner Stellung in der handschriftlichen Überlieferung in die letzten Wochen des Jahres 984, da mehrere Briefe vorangehen, die unzweifelhaft im Sommer dieses Jahres verfaßt worden sind. Daher sind sie genötigt, die in Nr. 39 erwähnte, geplante Zusammenkunft König Lothars mit Heinrich auf den 1. Februar 985 anzusetzen. Gegen sie hat sich aber J. Lair gewendet (Etudes critiques I, 152 ff.), der dafür eingetreten ist, daß Nr. 39 im Jänner 984 verfaßt worden sei und daß die Breisacher Zusammenkunft am 1. Februar 984 hätte stattfinden sollen, eine Ansicht, die auch die älteren deutschen und französischen Historiker vertreten hatten. Dennoch haben die Feststellungen Havets die gesamte neuere Forschung in Frankreich und Deutschland beeinflußt, vor allem sind auf ihnen die Darstellungen von F. Lot (Carolingiens), G. Kurth (Notger de Liege) und R. Parisot aufgebaut und der Letztere hat in einer eigenen Untersuchung die Ergebnisse Lairs zurückgewiesen (Haute-Lorraine, App. V. 501 ff.). Letzten Endes läuft eine Stellungnahme in dieser Frage darauf hinaus, ob man für die Datierung der einzelnen Schreiben ihre Stellung in der Briefsammlung Gerberts als entscheidend betrachtet, oder ob man ihren Inhalt als maßgebend für ihre zeitliche Bestimmung ansieht. Diese Frage ist deshalb von so großer Bedeutung, weil die Briefe Gerberts für die Vorgänge im Westen des Reiches 984/85 vielfach sehr wichtige Nachrichten bieten und die Ereignisse daher in verschiedener Ordnung und anderem Zusammenhang erscheinen, je nach dem Standpunkt, den man für die Datierung dieser Schreiben gewählt hat. Darin besteht jedoch keine Einigkeit, auch wenn der bedeutendste Vertreter der Havet'schen Chronologie, F. Lot in seiner letzten Untersuchung (Études 31 ff., 58) ebenso wie K. Pivec (Briefsammlung Gerberts, 33, 40, 64 f.) zugeben muß, daß die zeitliche Reihenfolge der Briefe Gerberts durch einzelne Abweichungen gestört sei. Beide Forscher halten dennoch an der späteren Datierung des Briefes Nr. 39 an Notger (Lot, Etudes 32 ff., Pivec, 25) und an der Verlegung der Breisacher Zusammenkunft auf den 1. Februar 985 fest, ebenso wie die 1931 erschienene Abhandlung von R. Kohlenberger (Thronstreit 48 ff. u. Exkurs IV. 96 ff.). Damit ergeben sich jedoch unlösbare Widersprüche zu den Berichten der erzählenden Quellen, vor allem zu Richer, dessen auf Reimser Überlieferung und eigenes Erleben gestützte Darstellung gerade für diese Zeit als zuverlässig gelten muß. Die Datierung des Briefes Nr. 39 darf daher nicht nach seiner Stellung in der Reihenfolge der Sammlung vorgenommen werden, zumal er das erste der aus dem Spezialregister Gerberts stammenden Schreiben ist, die erwiesenermaßen häufig an unrichtigen Stellen eingefügt sind, sondern nur nach seinen inhaltlichen Beziehungen zu den uns bekannten Vorgängen und zu den Nachrichten der übrigen Quellen. ‒ M. Uhlirz, Jbb. O. III. Exkurs III. Die Breisacher Zusammenkunft und die Feldzüge König Lothars gegen Verdun 984/85. S. 433 ff.; Studien zu Gerbert I. 413 ff.; Untersuchungen über Inhalt und Datierung der Briefe Gerberts, Vorarbeiten III. 10. Da Gerbert ausdrücklich hervorhebt, daß die französischen Könige eben zur Zeit, da er den Brief schreibt, heimlich nach Breisach ziehen, ist dessen zeitliche Festlegung gesichert. Wenn Lothar am 1. Februar 984 in Breisach mit Heinrich zusammentreffen wollte, muß er etwa 5‒6 Tage vorher, also am 25.‒26. Jänner durch Reims gezogen sein und gleich darauf hat Gerbert dieses Schreiben verfaßt. Wichtig ist, daß er Heinrich als „rei publicae hostis dictus” bezeichnet; darin liegt der sachlich einwandfreie Beweis, daß Nr. 39 nicht 985 entstanden sein kann, da Heinrich schon auf dem Tag zu Rara am 29. Juni 984 Otto III. seiner Mutter zurückgegeben hatte und auf dem Wege zu einer völligen Aussöhnung war. Nur 984 konnte Heinrich, der sich aus der Gefangenschaft zu Utrecht befreit hatte, auf Grund des 978 über ihn verhängten Urteils als „Staatsfeind” bezeichnet werden. Auch die Einleitung und die Schlußworte des Briefes deuten ausdrücklich auf den Beginn des Thronstreites, auf Anfang 984 hin, ein Jahr später wären sie sinnlos gewesen. Der Zeitabstand zwischen dem Eintreffen der Todesnachricht Ottos II. ‒ 25. oder 26. Dezember 983 ‒ und der verabredeten Zusammenkunft in Breisach ‒ 1. Februar 984 ‒ ist keineswegs so gering, daß eine Verständigung zwischen König Lothar, der sich zumeist in Laon aufhielt, und Heinrich, der in Köln weilte, nicht hätte erfolgen können, wie Lot annimmt (Carolingiens, 142 ff. Études, 32 ff.). Sicher war schon vor Weihnachten in Aachen die schwere Erkrankung Ottos II. bekannt geworden und die Freilassung Heinrichs konnte sehr rasch nach dem Eintreffen der Todesnachricht erfolgen. Gerade der Schnelligkeit seines Vorgehens hat Heinrich seine ersten Erfolge zu danken gehabt. Es besteht kein sachliches Hindernis für die Annahme, daß er schon Mitte Jänner 984 zu dem Abkommen mit Lothar gelangt ist, die beiderseitigen Gesandten zusammengetroffen sind und die Verabredung mit ihrem Eid bekräftigt haben. Es blieb Heinrich noch mindestens eine Zeitspanne von einer Woche, um ungefähr am 24.‒26. Jänner die Fahrt nach Breisach anzutreten, wo er am 1. Februar die französischen Könige hätte erwarten sollen. ‒ Zu dem „Fortuna”-Begriff b. Gerbert vgl. Haefele, Fortuna Heinrici IV. (1954) 437.

Nachträge

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Empfohlene Zitierweise

RI II,3 n. 956e1, in: Regesta Imperii Online,
URI: http://www.regesta-imperii.de/id/0984-01-26_1_0_2_3_0_30_956e1
(Abgerufen am 28.03.2024).