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RI XI Sigmund (1410-1437) - RI XI Neubearb., 2

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K. S. erhebt (facimus, creamus, erigimus, nobilitamus, attollimus et graciosius insignimus) mit wohlbedachtem Mut, rechtem Wissen und gutem Rat seiner und des Reiches Fürsten, Grafen, Freiherren, Edlen und Getreuen und aus ksl.er Machtvollkommenheit (de imperialis plenitudine potestatis) und aus eigenem Antrieb (motuque proprio) den wohlgebornen Ritter Kaspar Schlick (magnifico et generoso militi Gaspari Slick), seinen Reichskanzler, in Ansehung von dessen Umsicht, Eifer und beständiger Treue, die er ihm stets erwiesen hat, sowie Kaspars männliche Erben und Nachkommen zu lateranensischen Pfalzgrafen (sacri Lateranensis pallacii comites palatinos).

[1.] Er legt fest (decernentes et hoc imperiali statuentes edicto), dass Kaspar und dessen Erben auf ewig alle Rechte, Privilegien, Immunitäten, Gewohnheiten, Freiheiten, Gnaden, Dienste, Gehälter und alle andere Ehren und Nutzen (omnibus iuribus, privilegiis, inmunitatibus, consuetudinibus, libertatibus, graciis, officiis, solariis, stipendiis et aliis singulis honoribus, utilitatibus et emolumentis) genießen sollen, wie es lateranensischen Pfalzgrafen nach Recht und Gewohnheit gebührt.

[2.] Kaspar und dessen Erben dürfen überall im Reich öffentliche Notare oder Richter (notarios publicos seu tabelliones et iudices ordinarios) ernennen, diese, wenn sie zur Ausübung dieses Amtes vertrauenswürdig, fähig und geeignet sind, mit Feder und Tintenfass (per pennam et calamarium) investieren und ihnen einen Eid (corporale iuramentum) abnehmen, mit dem sie sich verpflichten, ihm, K. S. seinen Nachfolgern und dem Heiligen [Römischen] Reich treu zu sein, ihre öffentlichen sowie privaten Instrumente, Testamente, Gerichtsakten und andere Dokumente gerecht und ohne unlautere Absichten (iuste, pure ac fideliter, omni simulacione, machinacione, dolo et falsitate remotis) aufzusetzen, diese nie auf palimpsestierten Urkk. (cartis abrasis) oder Papier, sondern ausschließlich auf Perg. zu mundieren und alle Urteile sowie Zeugenaussagen, die noch nicht publiziert worden sind, geheim zu halten. Die durch Kaspar und dessen Erben ernannten Notare dürfen überall in allen Prozessen und Rechtsangelegenheiten Instrumente, Verträge, Urteile und Testamente aufsetzen (facere, conscribere et publicare instrumenta, contractus, iudicia, testamenta et ultimas voluntates), Dekrete und Verordnungen publizieren (decreta et auctoritates interponere) und alles andere tun, was mit dem Amt eines öffentlichen Notars verbunden ist.

[3.] Des Weiteren gewährt (concedimus et elargimur) S. Kaspar und dessen Erben, uneheliche Kinder (naturales, bastardos, spurios, manseres et quoscumque ex dampnato coitu procreatos) zu Lebzeiten oder nach dem Tod von deren Eltern zu legitimieren, jedoch mit Ausnahme der Söhne von Fürsten, Grafen und Freiherren. Sie dürfen diese Personen in alle Ehren und Rechte, besonders die Erbrechte einsetzen. Die legitimierten Personen dürfen auch die Erbschaften der ohne Testament verstorbenen Personen ansprechen, jedoch nur unter dem Vorbehalt, dass sie die ehelichen Kinder und Erben nicht benachteiligen, sondern diese in der Erbfolge nachfolgen sollen (dummodo tamen legittimaciones per te aut heredes tuos fiende non preiudicent legitimis filiis et heredibus, quin ipsi legittimandi per vos equis porcionibus suis succedant parentibus et agnatis).

[4.] Des Weiteren gewährt (concedimus ex gracia speciali) S. Kaspar und dessen Erben die besondere Gnade, dass ein Rechtsgeschäft, das in deren Anwesenheit vorgenommen wird und bestimmte Feierlichkeiten voraussetzt, auch bei Unterlassung dieser Feierlichkeiten gültig sein soll, wenn Kaspar oder dessen Erben es persönlich durchführen oder mittels einer Urk. bekräftigen.

[5.] Kaspar und dessen Erben dürfen Adoptionen vornehmen und adoptierte Söhne wieder [aus der Gewalt des Adoptivvaters] entlassen [6.] sowie die Freilassung von Sklaven mit einem Stab oder ohne diesen durchführen und den Freigelassenen die restitutio natalium oder das ius anulorum aureorum gewähren, ohne das Heilige [Römische] Reich und andere Personen dadurch zu beeinträchtigen (servos eciam manumittere et manumissionibus quibuscumque cum vindicta vel sine licenciamque prebere absque sacri imperii et quorumlibet preiudicio, natalium restitucionem concedere eis plenam et ius anulorum aureorum).

[7.] Sie dürfen Waisen, Kindern sowie unzurechnungsfähigen Erwachsenen, die über keine Sachwalter verfügen, Vormünder, Kuratoren bzw. Administratoren bestellen (pupillis et orphanis, infantibus, adultis, furiosis et prodigis, qui administratoribus careant tutores et curatores et administratores concedere et constituere) und diese mit der 
ksl.en Autorität ausstatten, im Herkunfsort der Unmündigen bzw. Unzurechnungsfähigen sowie dort, wo deren Güter liegen, die Unmündigen für volljährig oder die Unzurechnungsfähigen wieder für geschäftsfähig erklären, falls diese ihre Güter selber verwalten wollen und dazu sittlich geeignet sind (ac in ipsis constituendis auctoritatem imperialem interponere in loco originis indigencium ipsorum vel ubi maiorem partem bonorum habere noscantur, veniam etatis concedere hiis, qui morum honestate p[re]diti sua cupiunt patrimonia gubernare, famam et honorem restituere et reddere).

[8.] S. gewährt Kaspar und dessen Erben, dass sie alle oben genannten Befugnisse in seinem und des Heiligen [Römischen] Reiches Namen an beliebigem Ort nach deren Willen ausüben dürfen und die entsprechenden Urkk. mit rotem, grünem oder schwarzem Wachs besiegeln und ihr Siegel an Seidenschnur anhängen dürfen.

[9.] S. legt fest, dass diese seine Urk. durch keine Gesetze, Statuten oder Gewohnheiten und besonders durch die taxativ angeführten Gesetze des Römischen und Kirchenrechts wie auch durch keine anderen, selbst wenn es sich um solche handeln sollte, deren explizite Nennung erfolgen müsste, beeinträchtigt werden soll (legibus, statutis sive consuetudinibus non obstantibus quibuscumque, et specialiter lege, que legittimare spurios nisi ex certa sciencia non permittit et c. de precibus imp. off. l. nec dampnosa, l. quociens, l. rescrip. et c. de diversis rescrip. l. sanctimus et l. si qua beneficia et non obstantibus eciam eo, quod legitur in authenticis, quibus modis efficiuntur sui per totum et c. si contra ius vel utilitatem publicam, l. si cognicione et l. si legibus et l. omnis et l. quocienscumque, ff. de ritu nupciarum, l. sacer et l. universa cum sua materia et suis similibus et de naturalibus restitu. l. secunda et finali cum similibus, quibus modis naturales efficiuntur legitimi per totum collacione VIa et non obstante c. naturales in decima collacione si de feudo fuerit controversia nec aliquibus aliis legibus eciam si tales essent, de quibus specialem oporteret fieri mencionem). Er hebt alle widersprüchlichen gesetzlichen Bestimmungen mit rechtem Wissen und aus 
ksl.er Machtvollkommenheit auf (derogamus), bevollmächtigt (concedimus) Kaspar und dessen Erben, ebenfalls solche Bestimmungen aus seiner ksl.en Machtvollkommenheit aufzuheben und verbietet allen Herren, Städten oder Universitäten, künftighin Statuten oder Gewohnheiten einzuführen, die diese seine Urk. beeinträchtigen könnten.

[10.] Schließlich gebietet S. allen Menschen, diese seine Gnade (hanc nostre concessionis, gracie et indulti paginam) nicht zu verletzen, wenn sie seine und des Reiches schwere Ungnade sowie eine Pön von 30 Mark reinen Goldes bei jeder Verletzung vermeiden wollen, die zur Hälfte an seine ksl.e Kammer, zur Hälfte an Kaspar und dessen Erben zu bezahlen wäre.

Originaldatierung:
die prima mensis junii, 47 – 23 – 14 – 1)2
Kanzleivermerke:
KVr: Ad mandatum d(omini) imperatoris. – KVv: Registrata.

Überlieferung/Literatur

Angebliches Orig. (wahrscheinlich eine Fälschung aus der Zeit um 1442) Perg. lat. mit einem wachsfarbenen ksl.en Majestätssiegel (Posse 17/1–2) am Perg.-Streifen, in SOA Zámrsk, RA Šliků, Inv. Nr. 206, Sign. IV.3, Kart. 22 (A).

Ed.: Lünig, Spicilegium Seculare des Teutschen Reichs-Archivs, II, S. 1175–1176; Elbel – Zajic, Die zwei Körper, III, S. 115‒118, Nr. 9.

Reg.: RI XI, Nr. 9468.

Lit.: Wacek, Materialien, S. 425; Dvořák, Fälschungen, S. 61; Pennrich, Urkundenfälschungen, S. 21, 50, 55, 96; Forstreiter, Reichskanzlei, S. 19; Zechel, Studien, S. 124, 209–214; Heinig, Kaspar Schlick, S. 265; Kovács, Coronation, S. 123, 129, 134; Elbel – Zajic, Die zwei Körper, II, S. 131–136.

Kommentar

Das Diktat der Urk., mit der Kaspar und seinen Erben das "große" Palatinat verliehen wird, ist völlig unverdächtig. So wurde sie in der vorliegenden Literatur zu Leben und Fälschungstätigkeit Kaspar Schlicks auch als echt betrachtet, wobei damit argumentiert wurde, dass das große Palatinat durch S. so vielen Personen auch wesentlich niedrigeren Ranges verliehen wurde, dass eine Palatinatsurk. für Kaspar Schlick gar nicht verwunderlich sei.3 Die kleinen formalen Mängel, wie die Angabe eines falschen böhmischen Regierungsjahrs oder das Fehlen eines Eintrags der Urk. im Reichsregister trotz Vorhandensein eines Registraturvermerks auf der Ausfertigung, die das Misstrauen Wilhelm Altmanns hervorriefen, sind für die Echtheitsfrage nicht besonders relevant, weil wir solchen Unstimmigkeiten in zahreichen Urkk. S.s begegnen.4

Trotzdem lassen sich einige inhaltliche Einwände gegen den Urk.-text erheben, die eine Ausfertigung im Jahr 1433 zweifelhaft machen. Die Anrede Kaspars als magnificus et generosus miles entspricht seiner tatsächlichen ständischen Qualität in der Regierungszeit S.s nicht, sie kann aber – wenn wir das Wort miles auf den am 31. Mai 1433 in Rom erfolgten Ritterschlag Kaspars beziehen – sehr wohl mit der vermutlich im Jahr 1437 gefälschten und ins Jahr 1422 datierten Freiherrenurk. (Reg. Nr. 172) in Einklang gebracht werden. Auch die Bezeichnung Kaspars als Kanzler stimmt mit dem Stand vom 1. Juni 1433 nicht überein, da die formale Ernennung Kaspars zum Kanzler – obwohl sie Schlick durchaus am Tag der Kaiserkrönung durch S. mündlich versprochen worden sein konnte – höchstwahrscheinlich erst um den 20. Juni 1433 erfolgte.5

Besonders die Schrift der Ausfertigung weist aber deutlich darauf hin, dass das Stück nicht im Jahr 1433, sondern erst später angefertigt und rückdatiert wurde. Die Urk. wurde ganz offensichtlich von Wenzel von Buchau mit der für ihn besonders charakteristischen auszeichnungsschriftlichen "fetten" Bastarda für die gesamte erste Zeile geschrieben. Dieser gut fassbare Schrifttyp scheint in der bei der oben regestierten Palatinatsurk. feststellbaren Ausprägung erst ab 1442 (mit Ausnahme der Urk. für Matthias Schlick und den Markt Buchau vom 26. August 14376) für die gesamte erste Zeile verwendet worden zu sein.7 Somit scheint die Urk. mit großer Wahrscheinlichkeit in den Komplex der späteren Schlick’schen Fälschungen aus der Zeit Friedrichs III. zu gehören. Sie kann dann – wie auch andere Fälschungen Schlicks aus dieser Zeit – auf einem von mehreren von Schlick zurückgehaltenen besiegelten Blanketten S.s mundiert worden sein, was auch die Verwendung eines Perg.-Streifens anstelle einer bei Palatinatsurkk. üblichen Seidenschnur bei der Befestigung des Siegels erklären könnte.

Wenn wir die Herstellung der Fälschung im Jahr 1442 annehmen, kann sie wohl so interpretiert werden, dass Kaspar für seinen damals erhofften männlichen Nachwuchs eine zusätzliche Zukunftsabsicherung in Form des in männlicher Linie erblichen Palatinatsprivilegs erwirken wollte. Dagegen wäre für ihn – im Unterschied zu seinen Brüdern – im Jahr 1433, als er, noch unverheiratet und kinderlos, den Höhepunkt seiner Karriere am Hof S.s erreichte, die Palatinatswürde wohl wenig interessant erschienen.

Anmerkungen

  1. 1Es lässt sich nicht eindeutig entscheiden, ob unter dem St. Johann-Patrozinium an die Basilika, das benachbarte Kapitel oder das päpstliche Palais gedacht wird.
  2. 2Das böhmische Regierungsjahr falsch quarto decimo anstelle von tercio decimo.
  3. 3Während Altmann (RI XI, Nr. 9468) die Echtheit der Urk. nicht sehr überzeugend in Frage stellte, verteidigten sie alle anderen Forscher fast einstimmg – siehe Dvořák, Fälschungen, S. 61, Anm. 1; Pennrich, Urkundenfälschungen, S. 55; Zechel, Studien, S. 209–214 (mit Annahme einer geringfügigen Antedatierung); Heinig, Kaspar Schlick, S. 265.
  4. 4Das Fehlen der Urk. im Reichsregister lässt sich etwa dadurch erklären, dass sie in die heute größtenteils verschollenen böhmischen oder ungarischen Registerbücher S.s eingetragen werden konnte – siehe dazu die Einleitung zu RI XI NB/1, S. 20–21, und Elbel – Zajic, Die zwei Körper, III, S. 83–86.
  5. 5Zur Kanzlerernennung Schlicks siehe zuletzt Elbel – Zajic, Die zwei Körper, I, S. 92–98, mit Auswertung der vorhandenen Literatur. Das Problem einer Diskrepanz zwischen der oben regestierten Palatinatsurk. und der späteren Kanzlerernennung Schlicks war schon Zechel gut bekannt, der es dadurch zu erklären versuchte, dass die Urk. wohl bald nach der Kanzlerernennung Schlicks ausgestellt und dabei um einige Wochen antedatiert worden sein dürfte – siehe Zechel, Studien, S. 212.
  6. 6Siehe Reg. Nr. 164.
  7. 7Detailliert mit vielen Beispielen siehe Elbel – Zajic, Die zwei Körper, II, S. 161–168.

Nachträge

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Empfohlene Zitierweise

RI XI Neubearb., 2 n. 173, in: Regesta Imperii Online,
URI: http://www.regesta-imperii.de/id/f962a176-0b02-4d49-9004-49efe85d29b1
(Abgerufen am 23.04.2024).