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RI XI Sigmund (1410-1437) - RI XI Neubearb., 2

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Kg. S. teilt den Böhmen mit, dass er hinsichtlich der sich im Kg.reich Böhmen verbreitenden Irrlehren (super illa dolorosa materia errorum dudum ab universali ecclesia dampnatorum in regno Boemie, ut fertur, per quosdam pseudolos nephandos filios diffidencie plus sapere volentes quam oportet, qui simplicium fidem evertere et fideles antique nittuntur captivitatis retibus implicare – utinam hucusque dampnabiliter non implicassent! – dum legi dei nolentes esse subiecti et suam querentes statuere, publice dogmatizant contra fidei catholice veritatem, primum interdum bonum vinum ponendo, ut cum inebriati fuerint auditores, tunc eis quod deterius est propinent et in vestibus ovium rapacitatis excercent lupine commercium malorum subortorum) durch vielerlei Boten und Briefe seines Bruders Kg. Wenzel [IV.] und mancher böhmischer Herren und Edlen (barones et nobiles) angeregt wurde, sich für die Eindämmung der Ketzerei beim Konzil von Konstanz einzusetzen. Niedergang und Schmach des Kg.reichs Böhmen, das als das christlichste Kg.reich betrachtet wurde, schmerzten ihn sehr, weil er brüderliche Liebe zu Wenzel und tiefe Verbindung zu seinem Vaterland empfinde (necnon ex singulari amoris precipui privilegio, quem ad ipsum regnum Boemie gerimus, ad hoc enim nos, qui ex ipso originem traximus veluti heredem invitat et allicit natalis soli dulcis memoria, que illius nos esse immemores non permittit). Deswegen habe er alle Anstrengungen unternommen, um zu verhindern, dass das Konstanzer Konzil Maßnahmen zum Nachteil seines Bruders und des böhmischen Kg.reichs träfe, worüber er Wenzel und die Edlen desselben Kg.reichs durch dessen Boten und auch durch seine eigenen Gesandten ausführlich verständigt habe (prout hoc ipsum tam per prefatos nunccios fratris nostri regis quam eciam per nostros legatos eidem carissimo fratri nostro et baronibus predicti regni Boemie plenius et distinccius fecimus explicari). Im Laufe der letzten Gesandtschaft und bei laufenden Verhandlungen (hiis igitur legacionibus nostris et tractatibus super premissis pendentibus) sei jedoch die Nachricht zum Konstanzer Konzil gelangt, dass die Übergriffe auf den Klerus und die Kirche in den böhmischen Ländern trotz aller Zusagen der Boten Wenzels an ihn, S. weiterhin anhielten, ja sogar noch zunähmen: Renten würden einbehalten, das Allerheiligste entweiht, gehorsame Kleriker zur Entweihung gezwungen, Exkommunizierte und mit dem Interdikt Belegte geduldet, Rektoren der Pfarrkirchen und andere Benefiziaten von ihren Pfründen vertrieben, Geistliche von Laien festgenommen, vor Gericht gestellt und gefoltert, katholische Prediger und selbst bestimmte Magister der Theologie (predicatores catholici et eciam certi magistri fidem catholicam predicantes et docentes) würden mithilfe der Folter nach der Art eines Nero gezwungen, dem katholischen Glauben abzuschwören, man veröffentliche vermessen eigenmächtige Regelungen gegen Lehre und Dekrete der Kirche und des Konzils, besonders über die Kommunion unter beiderlei Gestalt, und viele Laien würden zur Kommunion unter beiderlei Gestalt durch die weltliche Gewalt gezwungen. Andere Leiden und Verfolgungen, welchen katholisches Volk und Klerus sogar unter den heidnischen Herrschern nicht ausgeliefert waren, sind kaum zu beschreiben (alie quoque molestaciones, oppresiones, persecuciones et abhominaciones desolacionum, que lingua carnis non sufficit fari et depromere aut certe calamus scribi eciam velociter scribentis stili officio minime commemorare valet, quales nec tempore Pharaonis nec tempore paganorum persecutorum ecclesie audite sunt, clero et catholico populo tirannice inferuntur, quas et audire aures pie penitus perhorrescunt, et referre singula ex huiusmodi frequentatis clamoribus huc productis minime valemus).1 In den letzten Tagen habe sich das Konzil entschlossen, gegen Kg. Wenzel [IV.] als einen Vertuscher (dissimulatorem) solcher Missetaten künftig härter vorzugehen. Es meine nämlich mancher, dass im Kg.reich eines so mächtigen Herrschers solche Missetaten und furchtbarer Kirchenfrevel sich nicht entfalten hätten können, hätte nicht der Kg. davor die Augen verschlossen. Nach seiner, S.s, Intervention habe sich das Konzil dazu entschlossen, mit dem Prozess gegen Wenzel noch eine gewisse Zeit zu warten, in der Hoffnung, dass Wenzel das Vernachlässigte korrigieren und künftighin richtig verfahren werde. Er, S. betont, dass er den Prozess des Konzils gegen Wenzel schon seit fast drei Jahren mit großer Mühe verhindern habe können, jedoch künftig eine Beeinträchtigung der Ehre seiner eigenen kgl.en Majestät befürchten müsse.

Er fordert (monemus, requirimus et hortamur) also die Böhmen auf, im Kampf gegen die häretischen Irrlehren nicht nachzulassen, da den Kampf gegen das Böse zu beenden bedeute, das Böse zu unterstützen – wer mit der Bekämpfung des offensichtlichen Verbrechens aufhöre, werde in den Verdacht der geheimen Verabredung kommen. Des Weiteren fordert er die Böhmen auf, die genannten Verbrechen und die Verfolgung der Kirche zu unterbinden, alles das, was vernachlässigt wurde, in den ursprünglichen Zustand zu versetzen und frevelhafte Bündnisse zu unterdrücken und ermahnt sie, ihre Ergebenheit gegenüber Gott und der heiligen Mutter Kirche öffentlich zu demonstrieren und versichert ihnen, dass er dem Konzil deren Anstrengung und Glauben anempfehlen wird.

Schließlich wolle er gegenüber den Empfängern keine Schuld daran tragen, falls das Konzil zurecht gegen Übeltäter oder auch diejenigen vorgehe, die Missetaten verheimlichten, und gezwungen sein sollte, andere Hilfe zu suchen, wenn die kirchlichen Strafen zur Austilgung der Ketzerei in Böhmen nicht ausreichten (nach Kop.).

Originaldatierung:
die quarta septembris, 31 – 7
Kanzleivermerke:
KV: Per d(ominum) A(ndream) archiepiscopum Colocensem Johannes de Strigonio prepositus et vicecancellarius (nach Kop.).

Überlieferung/Literatur

Orig. im bearbeiteten Bestand nicht überliefert. – Kop. lat.: Einfache zeitgenössische Abschrift in SOA Litoměřice ‒ SOkA Louny, Bestand AM Louny, Sign. I B 6, fol. 13v–14v (B); zeitgenössische Abschrift in HHStA Wien, Sign. Codex Blau 8 (alte Sign. Böhm 22), Copial und Formelbuch Kaiser Sigismunds, fol. 59v–61r (C); zeitgenössische Abschrift in KNM Praha, Sign. I E 6 (alte Sign. 4 D 12), fol. 6r–7v (D); einfache Abschrift aus dem 15. Jh. in SOA Třeboň, Bestand Historica Třeboň, Sign. 171, pag. 1–2 (E); zwei einfache Abschriften aus dem 19. Jh. in ANM Praha, Bestand C Muzejní diplomatář, sub dato (F, G).

Ed.: Hardt, Magnum oecumenicum Constantiense concilium IV, Sp. 1408–1413; Fejér, Codex, X/5, S. 759–764, Nr. 347; Palacký, Documenta, S. 659–663, Nr. 112; List císaře Zikmunda Lounským (tsch. Übersetzung); Elbel, Neznámý list, S. 528–533, Nr. 2.

Reg.: Caro, Kanzlei, S. 16, Nr. 95 (dt.); RI XI, Nr. 2544; ZsO VI, S. 266, Nr. 889 (ung.).

Lit.: Elbel, Neznámý list, S. 518–523; Coufal, Polemika, S. 72.

Kommentar

Der Brief, der den Charakter eines Manifests trägt und als Ermahnung oder Warnung an die gesamte böhmische "Nation" konzipiert war, ist auch in einer Ausfertigung für den Bürgermeister und Rat der Stadt Brünn vom 3. September 1417 kopial überliefert2 und im Wesentlichen auch mit dem Brief S.s vom 4. September identisch, der an Bischof Johann [IV. "den Eisernen"] von Leitomischl expediert wurde.3 Der Brief an die Böhmen und dessen Fassung für die Stadt Brünn sind dabei um einige Passagen länger und generell etwas strenger gehalten als der Brief an Bischof Johann.

Mit Blick auf die Wirkung des Briefs sei noch auf einen merkwürdigen Textzeugen hingewiesen. In einer Hds. aus dem 15. Jh., die dem Magister Rupert Weissenburger aus Bruck an der Leitha, Rektor der Wiener Universität, gehörte, ist der Brieftext fast wortgetreu enthalten.4 Dem Text geht hier jedoch eine unerwartete Adresse voran (fol. 208r): Prudentibus et honorabilibus magistro civium necnon consulibus ac toti communitati maioris civitatis Cracovie fidelibus nostris dilectis. Überdies kommen zwar kleinere, aber wesentliche Abweichungen im Text vor: der Begriff regnum Boemie wurde jeweils mit regnum Polonie ersetzt (einmal sogar regni Sicilie!), obwohl auch der böhmische Kg. Wenzel [IV.] in der Anrede erwähnt wird. Weiter wird die Junktur materia errorum am Textanfang mit den Namen Jo[annes] W[icleff] und Jo[annes] Huss bereichert. Es ist unwahrscheinlich, dass ein so formulierter Brief tatsächlich nach Krakau abgeschickt wurde. Es scheint vielmehr, dass jemand den Text aus unbekannten Gründen auf Krakau und Polen umformuliert haben dürfte, wobei man in der ursprünglichen Anschrift wohl maioris civitatis Pragensis vermuten könnte. Der Entstehungszusammenhang dieser adaptierten Fassung bleibt allerdings unklar. Der genannte Wiener Gelehrte fand den Brieftext vielleicht primär wegen der eingehenden Beschreibung der hussitischen Ketzerei interessant.

Anmerkungen

  1. 1Dieser Absatz wurde wortgetreu in ein Mahnschreiben des Konstanzer Konzils an den böhmischen Adel vom 25. März 1418 übernommen, siehe MVB VII/1, S. 117, Nr. 239.
  2. 2RI XI NB/3 (im Druck), Nr. 12.
  3. 3Ed.: Elbel, Neznámý list, S. 526–528, Nr. 1; Reg.: RI XI NB/1, Nr. 6.
  4. 4ÖNB Wien, Cod. 5073, fol. 208r–209r.

Nachträge

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Empfohlene Zitierweise

RI XI Neubearb., 2 n. 18, in: Regesta Imperii Online,
URI: http://www.regesta-imperii.de/id/f55e9277-d623-454e-b745-a5215b514c58
(Abgerufen am 28.03.2024).