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RI XI Sigmund (1410-1437) - RI XI Neubearb., 2

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Kg. S. teilt dem Großfürsten Witold von Litauen, seinem lieben Bruder und Verwandten (illustri principi domino Allexandro alias Wytawdo magno duci Littwanie fratri et consanguineo nostro carissimo) mit, dass er als Kg. von Ungarn viele Tage und schlaflose Nächte (plures dies noctesque insompnes) überlege, wie er seine Kg.reiche besser verwalten, die Feinde des christlichen Glaubens in den Nachbarländern vernichten und abgefallene Christen zum schönen Frieden zurückbringen könne (malos christicolas possemus ad pacis pulchritudinem revocare). Damit er diese Aufgabe mit Gottes Hilfe und – wo es an ihm selbst fehle, mit Unterstützung einer um ihn gescharten Gesellschaft – besser erfüllen könne (assistente nobis dextera regis regum eo efficacius, quod in nobis forte deficeret, accumulato nobis societatis presidio firmius suppleremus), entschloß er sich gemeinsam mit seiner Gemahlin Kg.in Barbara (serenissima principe domina Barbara Romanorum et Hungarie etc. regina, conthorale nostra carissima) sowie seinen Prälaten, Baronen und hohen Würdenträgern, zum Lob und zur Verherrlichung des Erlösers Jesu Christi ein Gesellschaftszeichen in Form einer Bilddevise zu tragen und anzulegen, das auch dem Schutz der Witwen und Waisen der verstorbenen Mitglieder der Gesellschaft vor Bedrückung dienen soll (in laudem et magnificentiam nominis domini nostri Jesu Christi salvatoris nostri pro divisa et societate […] portandam et ferendam elegimus, acceptavimus et per modum societatis, ut vidue et orphani sociorum huiusmodi societatis, si quos ab hoc seculo migrare contingeret, protegi et oppressiones indebite reprimi possent, duximus induendam1)2: Das Abzeichen stellt einen zu einem Kreis gekrümmten Drachen dar, den Schwanz um den Hals windend, dessen Rücken in der Mitte in der gesamten Länge vom Kopf bis zum Schwanz geteilt ist und Blut verströmt. Über ihm steht das Kreuz, mit dem der Herr und Erlöser, nach seiner glorreichen Auferstehung in das Reich des Todes hinabsteigend, die Kammern der Hölle zerrissen und, jenes [das Kreuz] mit sich führend, das Haupt der höllischen Übel, des alten Feindes, des Leviathan und gewundenen Drachens, durch das Mysterium desselben Kreuzes machtvoll zertreten hat (effigiem draconis curvati per modum circuli, cauda collum circumgirantis, divisi per medium dorsi ad longitudinem a summitate capitis usque ad extremum caude, effluente sanguine, et desuper crucem, qua dominus noster et redemptor inferni claustra post gloriosam resurrectionem suam descendens ad inferos dissipavit, illamque secum ferens antiqui hostis Leviathan et draconis tortuosi, inferorum malorum caput, ipsius crucis misterio3 potenter deflexit). Er informiert Witold knapp über Regel und Einrichtung der Gesellschaft (tali norma et iure est ordinata):

[1.] S. und jedes Mitglied sind verpflichtet, aufgenommenen Genossen (consociis […] receptis) Ehre zu erweisen (honorem et reverentiam licitos exhibere) und diese ohne Arglist gebührlich zu befördern (promovere pure et iuste prout debebit absque fraude), Witwen und Waisen der verstorbenen Mitglieder in ihren Besitztümern und Rechten vor jeglichen Übergriffen zu schützen und gegen Schmach und jegliche drohende Gefahr zu verteidigen.

[2.] Wenn jemand von den Angehörigen der Gemeinschaft (societatis et communitatis) stirbt, sollen sich die übrigen Genossen auf Benachrichtigung nach Möglichkeit persönlich zur Bestattungsfeier begeben (dum eis id innotuerit et hoc fieri poterit, ad exequias seu sepulturam talis defuncti personaliter transeant); andernfalls sollen sie ehebaldigst 30 Seelenmessen zum Seelenheil des verstorbenen Mitgliedes zelebrieren lassen und vier Denare der größeren Münze (maioris monete) für jede einzelne Messe bezahlen.

[3.] Als Zeichen des Todes eines Gesellschaftsangehörigen soll jeder Genosse einen Tag lang ein Trauergewand (vestem lugubrem) tragen und dann mit dem Gewand arme Menschen (pauperi Christi) beschenken.

[4.] Jeden Freitag sollen Angehörige der Gesellschaft ein schwarzes Gewand (vestem nigram) tragen; andernfalls soll ein Genosse fünf Messen zum Lob der Fünf Wunden Christi zelebrieren lassen und dafür jeweils vier Denare bezahlen. Wenn jemand vergisst, das beschriebene [Gesellschafts]zeichen des Drachens an irgendeinem Tag zu tragen (supra descriptam draconis effigiem seu signum aliquo die per oblivionem ferre neglexerint), soll er ebenfalls fünf Messen jeweils für vier Denare zelebrieren lassen. Wenn aber jemand wegen Krankheit, Gefangenschaft oder begründeter Furcht (timore seu terrore legitimo preveniente) nicht imstande ist, die Bilddevise zu tragen, soll er deshalb nicht bestraft werden (nullo ex hoc gravaminis onere afficiatur). Wenn der Gesellschaftsangehörige das Zeichen verliert (deperdere et amittere) und es daher nicht tragen kann, soll er ebenfalls nicht bestraft werden (pro non portatione eiusdem gravamen non incurrat aliquale), bis das Zeichen wieder hergestellt worden ist.

Weil diese[s] Gesellschaft[szeichen] (hec societas) schon bislang bei vielen christlichen Kgg.n, Fürsten, Grafen und Edlen außergewöhnliches Ansehen (singulari quadam gloria) genießt, die es mit höchster Ehrfurcht und Wertschätzung weiterverleihen (qui eandem summa reverentia deferunt et honore), und durch solche Verbreitung weiter aufgeblüht ist und täglich durch Gottes Gnade wie eine fruchtbare Pflanze sich weiter ausbreitet (tanta adauctione refloruit et per dei graciam cottidie sicut planta fructifera dilatatur), will er, S. nicht unterlassen, Großfürst Witold, den er sehr liebt (amamus summopere), und dessen Gattin, die Großfürstin, in die Schar der Gesellschaft einzuladen (ad illius societatis cetum affeccione fervida invitemus). Deswegen übersendet er mit wohlbedachtem Mut, gutem Rat der genannten Gesellschaft, zum Lob Gottes und aus herzlicher Liebe sowie aus eigenem Antrieb Witold und dessen Gemahlin das Gesellschaftszeichen (ipsam societatem nostram motu proprio duximus transmittendam), damit er, S. und Witold wahre Brüder und Genossen (veri fratres et socii consodales) werden und einander in allen Notwendigkeiten unermüdlich wechselseitig unterstützen. Durch diese neue Verbundenheit sollen er und Witold einander gemäß den zwischen beiden Seiten geschlossenen Bündnissen helfen (sic habet vestra cara fraternitas quendam novum nodum, quibus insimul glutinamur, ut licet ex inscriptionibus et federibus per nos dudum initis nobis invicem succurrere teneamur). Besonders verpflichten sich beide, wenn sie dazu angerufen werden, Witwen und Waisen beiderseits vor jeglichen Unterdrückern zu beschützen (nullatenus deserere, sed fideliter defensare et ab impetitoribus preservare). Damit die Gesellschaft bei Witold zum Lob Gottes gedeihen und wachsen kann, gewährt er ihm das Recht (damus […] licenciam et liberam facultatem), Fürsten, Barone und andere Edle von gutem Leumund und großer Tugend (bone fame ac in virtutibus conservatos) aus dessen Herrschaftsgebieten nach dessen Gefallen in die Gesellschaft aufzunehmen (ad huiusmodi societatem […] acceptandos), die versprechen sollen, die erwähnten Regeln zu befolgen. Schließlich bittet er den Großfürsten, [das Gesellschaftszeichen als] sein brüderliches Geschenk (fraterni doni munusculum) anzunehmen und wünscht ihm, dass er es gemeinsam mit dessen Gemahlin und denjenigen, welche er erwählen wird, mit Freuden genieße (tlw. nach Kop.).4

Originaldatierung:
die tertia mensis augusti, XLIII – XIX – 10
Kanzleivermerke:
KVr: Ad mandatum d(omini) regis Caspar Sligk. – KVv: R(egistrata).

Überlieferung/Literatur

Orig. Perg. (Löcher, mit beträchtlichem Textverlust) lat. mit wachsfarbenem Majestätssiegel (Posse 13/3) an schwarz-gelber Seidenschnur in HHStA Wien, Bestand AUR, sub dato (A). – Kop. lat.: Registereintrag in RR I (J), fol. 58v (alt: 53v) (mit Tagesdatum um 29. September, circa festum Michaelis) (B); einfache Abschrift aus dem 18. Jh. in SOA Litoměřice, Bestand Biskupské sbírky – Valdštejnská sbírka, Sign. B I F 332 (C).

Ed.: Acta literaria Musei, I, S. 184–189; Fejér, Codex, X/8, S. 616–621, Nr. 291.

Reg.: RI XI, Nr. 7352 und Nr. 7444a.

Lit.: Prochaska, Władysław, II, S. 226, 382; Błaszczyk, Burza koronacyjna, S. 98; Kruse – Paravicini – Ranft, Ritterorden, S. 230, 232, 234, 243; Hoensch, König/Kaiser Sigismund, S. 35; ders., Sigismund, S. 349; D’Arcy Boulton, The Knights, S. 352; Graus, Dračí rád, S. 96.

Kommentar

Die Vergabe des Gesellschaftszeichens bzw. die Aufnahme Witolds in die in der Literatur durchwegs als Drachenorden bezeichnete Gesellschaft5 hängt eng mit dem Vorhaben S.s zusammen, den Großfürsten Witold zum Kg. von Litauen zu erheben.6 Die Aufnahme Witolds und dessen Gemahlin in den Drachenorden sollte diesen wohl versichern, dass S. seine Absichten ernst meine und die zugesagte Krönung vollziehen würde. Der polnische Geschichtsschreiber Johann Długosz berichtet, dass zum Wechsel von September auf Oktober 1429 die kgl.e Gesandtschaft, an deren Spitze ein gewisser österreichischer Ritter namens Leonhard gestanden habe, in Vaukavysk eintraf. Diese übergab das Gesellschaftszeichen des Drachenordens dem Großfürsten Witold in Anwesenheit von Gesandten des polnischen Kg.s. Der Chronist bietet eine von jener der Urk. leicht abweichende Beschreibung des Zeichens und überliefert die angebliche Antwort Witolds auf die Verleihung der Bilddevise. Der Großfürst soll erklärt haben, dass er das Zeichen nicht als Ausdruck eines brüderlichen Bündnisses, sondern als Geschenk (pro muneris officio) empfangen habe, und dass er das dem polnischen Kg. gegebene Versprechen weiterhin halten wolle. Długosz fügt abschließend seinen Kommentar hinzu, wonach die Verleihung des Zeichens der Anbindung Witolds an das Reich gedient haben soll, und sagt aufgrund prophetischer Interpretation eines Psalmzitats (Ps 103, 26) ein kommendes Blutvergießen unter den Christen voraus.7

Auf zwei miteinander verflochtene Umstände ist hier noch hinzuweisen: gegenüber der Orig.-Urk. weist die Überlieferung im Reichsregisterband ein abweichendes Tagesdatum auf. Da die Orig.-urk. in HHStA (unter den dort aufbewahrten ungarischen Urkk.) überliefert ist, wären zwei Erklärungen denkbar: Entweder gab Witold (oder sein Nachfolger?) die Urk. an S. zurück, da die beabsichtigte Krönung nicht vollzogen wurde, oder es existierten zwei Ausfertigungen, die ggf. auch unterschiedliche Tagesdaten (August 3 bzw. September 29) tragen konnten.

Anmerkungen

  1. 1B: inducendam
  2. 2Die Gründungsurk. des Drachenordens wurde am 12. Dezember 1408 ausgestellt, siehe Fejér, Codex, X/4, S. 682–694, Nr. 317.
  3. 3 ministerioin B und Fejér, Codex, X/8, S. 617.
  4. 4Der im unteren Drittel tlw. zerstörte Text von A wird nach B ergänzt.
  5. 5Zum Drachenorden siehe Graus, Dračí rád; ders., Rád Draka; Kruse – Paravicini – Ranft, Ritterorden, S. 230–247; Feder, Die ritterliche ungarische Gesellschaft; D’Arcy Boulton, The Knights, S. 348–355; Lővei, Hoforden; Popović, Order.
  6. 6Dazu jüngst Nikodem, Spory o koronację, I–II; Błaszczyk, Burza koronacyjna; Dücker, Sigismund.
  7. 7Dlugossii Annales seu Cronicae XI, hg. Wyrozumski, S. 270–271: Nam et pro illo tempore, quo cum nunciis regiis in Wilkowiska agebat, venit miles Austrie Leonardus ex parte Sigismundi Romanorum et Hungarie regis missus, ferens sibi insignia societatis sue certis legibus quas quilibet accipiens iuramento intemerate servaturum se stringebat, qualificatas, quibus cautum erat, ut unus alterum in adversis et prosperis et quocunque casu nunquam desereret. Draco autem societatis predicte erat insigne rotunda figura se volvens et capite caudam complectens faucibus apertis et flammam ructuantibus, cruore in spina dorsi in modum crucis conspersus, cui signum cruces radios emittens erat suprapositum scripturam in medio talem continens: O quam misericors est Deus iustus et clemens. Insignia huiusmodi in presencia nunciorum regalium oblate, dux Withaudus pro vinculo societatis ineunde respondit se nullatenus pro fraternitatis et lige vinculo sed pro muneris officio, ne iuramentum Wladislao regi Polonie prestitum per prestacionem alterius videretur temerasse, suscepturum. Tali responso accepto nuncio in Poloniam reverse, que secum acta erant, singillatim Wladislao Polonie regi denunciant et exponunt. Ad illaqueandum siquidem animum Alexandri Withaudi ducis prefati draconis insigne mittebatur pro societate, ut Withaudus ipse amicus fieret Imperii et socius. Tunc profecto scriptura illa implebatur prophetalis: Draco ille, quem formasti ad illudendum ei [Ps 103, 26], draco siquidem ille et tortuosus et sanguine respersus cum signo crucis formatus apparuit, significans per suum auctorem et illius suggestionem sanguinem Christianorum per bella fundi oportere.

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Empfohlene Zitierweise

RI XI Neubearb., 2 n. 76, in: Regesta Imperii Online,
URI: http://www.regesta-imperii.de/id/c0cbe23b-4e59-4a88-9ded-7b02f52e3fa5
(Abgerufen am 16.04.2024).