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RI I Karolinger 715-918 (926/962) - RI I,3,4

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Boso restituiert (redderemus) der (erzbischöflichen) Kirche von Vienne (Viennensis ecclesia) auf Bitten des dortigen Erzbischofs Otramnus, der die Urkunden seiner Kirche, darunter die königlichen Präzepte, vorgelegt hat (auctoritatem plenam ostendit quomodo et a fidele quodam ... data fuisset sed et postea a regibus per praecepta corroborata), nach dem Rat seiner Getreuen (consilio procerum nostrorum) zum Seelenheil des verstorbenen Kaisers Karl (des Kahlen), dessen gleichfalls verstorbener Gemahlin Irmintrud und ihrer beider Sohn, des Königs Ludwig (des Stammlers), sowie zu seinem eigenen und dem seiner Gemahlin Irmingard, die der Kirche von Vienne unrechtmäßig entfremdete Abtei Saint-André-le-Bas in Vienne (abbatia s. Andreae inferior in praedicta civitate sita) mit der Maßgabe, den Gottesdienst, die Lichter für die dort und in der Kathedrale dienenden Kanoniker (luminaria praebeantur canonicis servientibus tam ibi quam et in ecclesia matre s. Mauricii) und die Armenspeisung nebst Almosenvergabe durch den Leiter der Kirche (victus et alimonia a rectore ... ecclesiae) zu gewährleisten, und verleiht dem in der Vergangenheit durch die Nachlässigkeit der Leiter a pravis hominibus entfremdeten Kirchenbesitz, den er vollständig zugunsten der Kleriker von Notre-Dame und Saint-Maurice (ad usus clericorum s. Mariae et s. Mauricii) zurückerstattet, Immunität und Königsschutz (sint sub tuitione et immunitate atque defensione nostra) sowie Befreiung von allen öffentlichen Leistungen und Abgaben. – Stefanus cancellarius. – M. (SI D). – NT: Domnus rex fieri iussit.

Originaldatierung:
.XV. Kal. Feb., Tauriaco/Tauciaco villa – a. r. 2, Ind. 14.
Incipit:
Si petitionibus servorum
Empfänger:
(erzbischöflichen) Kirche von Vienne

Überlieferung/Literatur

Kopien: Paris, BnF, Coll. Baluze 75 (Vérité, Répertoire [I], Nr. 547), fol. 323r – 324r, Abschrift 17. Jh. (mit Korrekturen von Baluze), aus dem verlorenen Chartular (Ende 12. Jh.) des Domkapitels von Vienne fol. 13r n. 32 (E); ebd., Ms. lat. 5214, pp. 17 – 19, 17. Jh., mit Ind. 9, gleichfalls aus dem verlorenen Chartular (F); ebd., Ms. lat. 11 897, fol. 149r, 17. Jh., wie F (G); ebd., Ms. lat. 17 191, fol. 99r – 100r, Abschrift Martène 17. Jh., wie F (H); ebd., Ms. lat. 11 743, fol. 116r – 117r, 17. Jh., wie F (I); ebd., Ms. lat. 10 949, G. M. A. de Fontanieu, Histoire de Dauphiné, Preuves I, 1. Hälfte 18. Jh., pp. 65 – 68, wie F; Sion/Sitten, Kantonsarchiv, Pierre de De Rivaz, Diplomatique de Bourgogne, vol. I, n. 17 pp. 93 – 94, Kopie Ende 18. Jh., wie F, aber mit Nachzeichnung der NT (J). – Auch Grenoble, Bibl. Municipale, Ms. R 8907 (Secousse 904), fol. 5r-v, Abschrift 17. Jh., aus gleicher Quelle; München, Archiv der MGH, A 116 (Fasz. Boso), Kopie von G. Waitz von 1839 (mit Emendationen), aus F.

Erwähnt auch im Nekrologfragment des Kathedralkapitels von Vienne, ed. Poupardin, Provence, S. 363 Nr. 1: Boso rex ... etiam abbatiam S. Andreae Subterioris monasterii cum appenditiis suis reddidit.

Drucke:Baluze, Capitularia,1 1677, Nr. 114 Sp. 1507 – 1508 = 3 1780, Nr. 114 Sp. 1507 – 1508 (ND Mansi, Collectio nova,2 XVIII B), wohl aus E = Mansi, Collectio nova,1 XVIII, Nr. 114 Sp. 996 = Bouquet, Recueil 9, Nr. 4 S. 671; Chorier, Dauphiné, I, S. 243 – 247, aus dem verlorenen Chartular von Vienne; Prou-Poupardin, Recueil, S. 39 – 41 Nr. 20. – Frz. Übersetzung: Charvet, Histoire Vienne, S. 226 – 227; Collombet, Histoire Vienne, I, S. 308 – 310; Cavard, Saint-André-le-Bas, S. 22 – 23.

Regg.: B 1446; Pierre de De Rivaz, Diplomatique de Bourgogne, vol. I n. 17, ed. Chevalier, S. 4; Jean-Baptiste Moulinet, Vérification et description du Cartulaire du chapitre de Saint-Maurice de Vienne, 1771, mit Hinweis auf das Siegel Bosos: „le seing figuré dud. roi“, ed. Chevalier, Description Saint-Maurice, S. 19 – 20 Nr. 32; Bréquigny, Diplomata, I, S. 326; Chevalier, Regeste Dauphinois, Nr. 836.

Vgl. Mermet, Histoire de Vienne, S. 239f.; De Terrebasse, Inscriptions, I, S. 157f.

Kommentar

Poupardin, ed. cit., hatte den Ausstellort mit Toisieu auf dem linken Ufer der Rhône ca. 15 km südlich von Vienne (Com. Saint-Prim, Ct. Roussillon, Arr. Vienne, Dép. Isère) identifiziert (vgl. schon Terrebasse, Boson, S. 108; Poupardin, Provence, S. 128 m. Anm. 8), wobei er annehmen mußte, daß das in den meisten Kopien zu lesende Tauriaco wohl auf Verlesung aus Tausiaco beruhte (Tauciaco bieten nur E und F). Daß diese Identifizierung ungesichert ist, zeigt Bautier, Origines, S. 60 Anm. 69 (der den Ort Toussieu ca. 15 km nordöstlich von Vienne [Ct. Heyrieux, Dép. Isère]) ins Spiel bringt, diesen allerdings gleichfalls nicht für gesichert hält). – Indiktion und Königsjahr stimmen zu Januar 881 überein. – Zum verlorenen Chartular des Domkapitels von Vienne siehe bes. D Prov. 2 (Reg. 2506). – D 20, an dessen Authentizität nicht zu zweifeln ist, dokumentiert das Ende der Belagerung von Vienne durch die Karolinger (vgl. Reg. 2777) und ist zudem ein Zeugnis dafür, daß Erzbischof Otramnus von Vienne (876 – 884, vgl. Poupardin, Provence, bes. S. 348) auch während der Belagerung Boso die Treue gehalten hat, wofür er nunmehr durch die Ausstellung unseres Stückes belohnt wird. – Der als Rekognoszent aufgeführte cancellarius Stephanus, der vielleicht schon für den Grafen Boso tätig war (D Prov. 16 = Reg. 2741), hatte schon, mit dem Titel eines Notars, D Prov. 18 u. 19 (Regg. 2757 u. 2756) rekognosziert, dort in Vertretung des Kanzleileiters Adalgar von Autun, der unterdessen von Boso abgefallen war (das vorige Reg.); vgl. auch D Prov. 21 (Reg. 2791); Prou-Poupardin, Recueil, S. IX. Daß Stephanus bei der Ausstellung unseres Stücks auf direkten Befehl des Königs die Urkunde hergestellt hat, zeigt die oben zit., in allen Kopien zwischen Signum- und Rekognitionszeile eingefügte Formel: Domnus rex fieri iussit, bei der es sich um die Transkription tironischer Noten im SR handelt, die (nur) von Rivaz (J) nachgezeichnet wurden (ohne das SR). Solche NT sind in den Urkunden Bosos, von dem kein Original erhalten blieb, sonst nicht bezeugt, finden sich aber häufig unter Lothar I. und Lothar II. (vgl. Schieffer, Die Urkunden Lothars I., S. 33 – 36, 42; Schieffer, Die Urkunden Lothars II., S. 378), gelegentlich auch noch in den Urkunden Karls von der Provence und Ludwigs des Blinden (vgl. Schiaparelli, Noten, bes. S. 212 – 214 [S. 78 – 80]; Zielinski, Urkundenwesen, S. 177). – Das M wurde in E nachgezeichnet. – Der Formularrahmen (Protokoll, Eschatokoll, Promulgatio) entspricht dem der übrigen Urkunden Bosos. Die Arenga, die ein altes Muster variiert (vgl. Hausmann/Gawlik, Arengenverzeichnis, Nr. 3381), kehrt fast wortgleich im nachfolgenden D 21 (Reg. 2791) wieder, das gleichfalls von Stephanus rekognosziert wurde. Deutliche Anklänge finden sich schon in Bosos D 17 (Reg. 2755) für Autun (Elibertus cancellarius). Die Corroboratio stimmt nahezu wörtlich mit der in Bosos schon genanntem D 18 (Reg. 2757) überein (Stephanus notarius). Der unter den Urkunden Bosos singuläre Kontext entspricht dem gängigen karolingischen Formular einer Restitutionsurkunde, der im zweiten Teil wenig geschickt das Formelwerk einer Immunitätsurkunde angefügt wurde; vgl. des Näheren Schilling, BM2, Nr. 570, S. 85f. Des Seelenheils Karls des Kahlen hatte Boso schon in DD 18 u. 19 (Regg. 2757 u. 2756) gedacht. Die eigenwillige Konstruktion der Verba dispositiva praecipientes iubemus atque iubentes decernimus verbindet unser Stück wieder mit D 17 (Reg. 2755): statuimus ergo confirmantes et confirmando decernimus (vgl. auch D 21/Reg. 2791: iubendo statuimus). – Bei dem ungenannten Getreuen, der das Andreaskloster der Kirche von Vienne geschenkt hatte (a fidele quodam data fuisset, vgl. oben), handelt es sich um den burgundischen Dux Ansemund (um 500), der das Kloster gegründet haben soll, dessen Gründungsurkunde in der überlieferten Fassung aber in der Zeit Ados von Vienne grob verfälscht wurde; vgl. Schilling, Guido von Vienne, bes. S. 145f.; Dies., Ansemundus, bes. S. 2f.; Dies., Gallia pont. III/1, S. 212f. Ansemund wird auch noch in einer Bestätigungsurkunde Ludwigs des Frommen genannt (BM2, Nr. 884; vgl. künftig Kölzer, Vorbemerkung zu D LdF BM2, Nr. 884). Zu beachten ist auch der Zusammenhang mit einem wohl bald nach der Ausstellung der Urkunde Bosos grob verunechteten Privileg Ludwigs des Frommen für Vienne von angeblich 815, BM2, Nr. 570, für das unser Stück herangezogen wurde; vgl. ausführlich Schilling, BM2, Nr. 570, S. 79 – 93 passim, bes. S. 87, 90; künftig auch Kölzer, Vorbemerkung. – Beide Vienneser Klöster, neben Saint-André-le-Bas auch Saint-André-le-Haut, die zu einem unbekannten Zeitpunkt in Grafenbesitz kamen, scheinen von Karl dem Kahlen an Boso als Laienabt übergeben worden zu sein (zu ersehen aus D KdK. 386, vgl. Reg. 2643); vgl. Schilling, BM2, Nr. 570, S. 81f. Zu beiden Klöstern und ihrer wechselvollen Geschichte siehe noch Schilling, Guido von Vienne, S. 86 – 89, 144 – 154, bes. S. 146; Dies., Ansemundus, bes. S. 2 – 4, 24f.; Dies., Gallia pont. III/1, S. 211ff., 228ff. Vgl. auch Vorbemerkung zu D Burg. 46. – Zu der neben der Kathedrale Saint-Maurice erwähnten Marienkirche vgl. Cavard, Vienne la Sainte, S. 100f.; Ders., Saint-Maurice, S. 18f.

Nachträge

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Empfohlene Zitierweise

RI I,3,4 n. 2779, in: Regesta Imperii Online,
URI: http://www.regesta-imperii.de/id/f56432f0-c351-4b51-a9c9-fbcc6a0fff9b
(Abgerufen am 29.03.2024).