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RI I Karolinger 715-918 (926/962) - RI I,4,2

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Die (Erzbischöfe) Gunther (von Köln) und Thietgaud (von Trier) schreiben (rescripserunt) Papst Nikolaus (I.) (Nicolao pontifici) nach ihrer Absetzung. (1) Sie hätten sich auf Geheiß ihrer Mitbischöfe zur Überprüfung der (Metzer) Beratungen (vgl. n. 642) und zur Belehrung an den Papst gewandt. (2) Sie verweisen auf ihre dreiwöchige Wartezeit und auf ein erstes, zunächst positives päpstliches Urteil (n. †[?]667), (3) bemängeln die Art und Weise der Verurteilung (n. 670) ohne ordentliches kanonisches Verfahren in Abwesenheit anderer Metropoliten und Bischöfe und unter Beteiligung des ehemals verdammten und mit dem Anathem belegten (n. 307) Priesters Anastasius (Bibliothecarius), (4) verwerfen zusammen mit ihren Brüdern diesen gegen die kanonischen Gesetze verstoßenden Spruch, verzichten auf die päpstliche Gemeinschaft, (5) werfen dem Papst Übertretung der von ihm selbst zitierten apostolischen Gebote (apostolica praecepta) sowie (6) unwürdige Herrschsucht und Hochmut vor und verstehen sich selbst als stellvertretend für ihren gesamten Stand. (7) Zusammenfassend stellen sie fest, daß laut kanonischem und weltlichem Recht keine freie Jungfrau einem Mann als Konkubine gegeben werden dürfe, deshalb gelte ein solches Mädchen aufgrund der elterlichen Zustimmung und ihrer Treue und Liebe als dessen Ehefrau.

Empfänger:
Gunther (von Köln) und Thietgaud (von Trier)

Überlieferung/Literatur

Insert: Ann. Fuldenses a. 863 (MG SS rer. G. [7] 60f.); Ann. Bertiniani a. 864 (Grat 108-110).

Erw.: Ann. Xantenses (MG SS rer. G. [12] 22); n. 695; n. 863.

Reg.: Bréquigny, Table I 267; Goerz, Mittelrhein. Reg. 184 n. 650; Anal. iur. pont. X 106 n. 62; Oediger, Reg. Köln I 64f. n. 195; GP VII 23 n. 28; GP X 31f. n. 28.

Lit.: Lapôtre, De Anastasio Bibliothecario 21-23 (ND 145-147); Dümmler, Ostfränk. Reich II 70-72; Parisot, Lorraine 234 und 243f.; Perels, Nikolaus 82f., 87-89 und 217-220; Haller, Nikolaus 47f.; Heydenreich, Metroplitangewalt Trier 86; Grotz, Hadrian 92 und 95f.; Oediger, Gesch. Köln I 92; Kottje, Ehe Lothars 100; Hartmann, Synoden 283f.; Fuhrmann, Widerstände gegen den päpstlichen Primat 727; Goetz, Auctoritas et Dilectio 43; Georgi, Erzbischof Gunthar 26-31; Heidecker, Kerk, huwelijk en politieke macht 139, 141f., 147f., 188f.; Scholz, Politik 193.

Kommentar

Die Beschwerdeschrift ist in zwei voneinander abweichenden Formen in die beiden angegebenen Annalenwerke inseriert. Neben geringen textlichen Varianten, die in der Edition von Grat angegeben werden, fehlen in den Ann. Bertiniani der in (3) angeschlossene Passus über Anastasius Bibliothecarius und einige Sätze aus Abschnitt (6). Dafür verzeichnen sie allein Absatz (7), der die Metzer Beschlüsse zu Waldrada (vgl. n. 642) nochmals zusammenfaßt. In den Ann. Bertiniani ist dem Schreiben ein Brief Gunthers und Thietgauds an die lotharingischen Mitbischöfe vorangestellt, in dem diese über den Absetzungsversuch von Papst Nikolaus berichten und auf die beiliegende Anklageschrift verweisen. Das Incipit lautet in den Ann. Fuldenses Nicolao pontifici Gundharius atque Theotgaudus, in den Ann. Bertiniani Audi domne papa Nicolae. Die Unterschiede zwischen den Ann. Fuldenses und den Ann. Bertiniani könnten auf zwei verschiedene Fassungen der Anklageschrift hindeuten, wie bereits Waitz (MG SS rer. G. [5] 69 Anm. 1) und Dümmler annahmen. Die Editoren der Ann. Bertiniani denken eher an eine mögliche Veränderung durch den Verfasser dieses Teils der Annalen, Hinkmar, der vielleicht die Schrift über den Bischof von Cambrai erhalten habe und als Gegner der Erzbischöfe Gunther und Thietgaud eingestuft werden kann, vgl. Grat 108 Anm. 1. Die schriftlichen Beschwerden der beiden Erzbischöfe wurden nicht nur im Okzident, sondern wohl auch in Byzanz verbreitet, vgl. die schwachen, allgemeinen Hinweise in n. 863 und dem Rundschreiben des Photios an Pa-triarchen des Ostens (Grumel-Darrouzès, Regestes I 119-121 n. 497). Zur Niederlegung des Beschwerdeschreibens auf dem Petersgrab vgl. n. 695. – Sollte die Anklageschrift zusammen mit dem schon erwähnten Begleitbrief an die lotharingischen Bischöfe verfaßt worden sein, so geschah dies, nachdem die Erzbischöfe Gunther und Thietgaud bereits ein erstes Mal Rom verlassen hatten, wie sie selbst vermerkten: Nos autem egressi a Roma longiusque recedentes, iterum ad Romam revocati sumus. Quo nos incipientes reverti, has vobis litterulas scripsimus (Grat 107). Zu datieren ist nach n. 670 und vor n. 695; die Ann. Bertiniani gehen davon aus, daß nach Ludwigs II. Einigung mit dem Papst (n. 691) der weggeschickte Gunther Brief und Schrift in Rom zurückließ, denn am 30. März 864 ist Gunther wieder in Köln nachweisbar, vgl. Oediger, Reg. Köln I 66 n. 197.

Nachträge

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Empfohlene Zitierweise

RI I,4,2 n. 684, in: Regesta Imperii Online,
URI: http://www.regesta-imperii.de/id/f0991ea8-e877-493a-a039-7f53b4067d6a
(Abgerufen am 28.03.2024).