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RIplus | Urkundenregesten Hofgericht 1 - Die Zeit von Konrad I. bis Heinrich VI. (911-1197)

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Äbtissin Adelheid von Gandersheim bekundet allen: Der Vogt Hermann von Gandersheim hat die Liten des Kl. mit unablässigen Forderungen belastet. Ks. Friedrich I. hat ihre Klagen darüber in Goslar entgegengenommen (imperator ... apud Goslariam constitutus, super huiusmodi gravamine querelas nostras accepit) und Gf. Borchard von Wöltingerode als Vogt des Kl. beauftragt (dedit in mandatis), aufgrund des Rechtes und seiner Vollmacht die Anmaßungen Hermanns wirksam abzustellen (insolentias ... ratione iuris et imperiali auctoritate reprimeret efficaciter).

Der Gf. kam in getreuer Erfüllung seines ksl. Auftrags (imperialis mandati devotus ac fidelis executor) mit Gf. Hoger, seinem Bruder, und Gf. Dietrich von Werth, die ebenfalls vom Ks. zu diesem Zweck abgeordnet worden waren (ad huius causae executionem fuerunt delegati), nach wenigen Tagen nach Gandersheim. Dort rief er die Ministerialen des Kl. zusammen (convocatisque ecclesiae ministerialibus) und befahl ihnen (sub obtentu gratiae simulque suo debito fidelitatis ... districte illis praecepit), ohne Unterdrückung der Wahrheit (veritatem supprimentes) aus Furcht, Liebe oder Haß die Rechte der Gandersheimer Vogtei, wie sie sie aus eigenem Wissen oder von ihren Vorfahren wahrheitsgemäß kannten, öffentlich und treulich darzulegen (iura Gandersemensis advocatiae, sicut ipsa se in veritate haberent et sicut ea a progenitoribus et antecessoribus suis intellexissent et vidissent et quantum ad eos ipsi inconcusse obtinuissent, publice et fideliter explicarent). Derart verbindlich befragt (tanta districtione requisiti), bezeugten sie in Anwesenheit der Äbtissin und vieler ehrenwerter Männer die Rechte von Vogtei und Vögten folgendermaßen (iura in nostra multorum honestorum virorum praesentia hoc modo distincte ac fideliter protestati sunt):

1. Der Gandersheimer Vogt richtet über Notzucht, Raub, Diebstahl, Wegelagerei, Aufruhr, Blutrunst und Klagen wegen Geld.

2. Er hält dreimal jährlich Gericht über Liten und homines forenses, zu dem die Verwalter (villicae) und die Liten, die nichts von der Kirche besitzen, nicht erscheinen müssen.

3. Die Liten der Kirche, die außerhalb der Stadt wohnen, darf er nicht mit Abgaben und Frondienst belasten. So sei es bekanntlich seit alters.

4. Die Güter des Kl. in Boleleshuson wurden Gf. Siegfried von Boyneburg, dem Gandersheimer Vogt, erstmals unter der Bedingung überlassen, daß er die Liten des Kl. nicht durch gewaltsame Forderungen oder angemaßtes Gericht bedrückt.

5. Innerhalb von Kl., Friedhof und Stadt Gandersheim, in den Kll. St. Maria, Brunshausen und Clus sowie in den Ausstattungen der Kirchen und den Wohnsitzen geistlicher Personen, wo und welcher Art auch immer, hat er sich keinerlei Rechte anzumaßen; auch das Gericht darin steht nur der Äbtissin zu.

6. Kaufleute unterstehen dem Marktrecht (legi forensi), doch nur hinsichtlich des Gewerbes, nicht hinsichtlich ihrer Person: Cessante vero causa cessabit et effectus1. Deshalb gilt als Kaufmann, wer innerhalb der Grenzen des Marktes für Gewinn öffentlichen Handel treibt. Kirchliche Personen oder Ministeriale, die etwas von ihrem Überschuß verkaufen, unterliegen für diesen Verkauf nicht legi forensi.

7. Hinterlassenschaften Fremder muß der Vogt auf Ersuchen der Erben diesen binnen Jahr und Tag herausgeben; unterbleibt dies, verfallen sie nach Gewohnheitsrecht dem Vogt.

8. Den Markt ordnet nicht der Vogt, sondern die Äbtissin durch Personen ihrer Wahl.

9. Die Kaufleute, Fleischer und Bierverkäufererinnen sind es gewohnt, den Vogt dreimal im Jahr zu bedenken, doch nicht aufgrund eines Rechtstitels, sondern um seine Gewogenheit zu erhalten.

Soweit die Aussagen, gemäß denen Gf. B[orchard] die Ausübung der Vogteirechte dem H[ermann] zuerkannte (Has itaque expressas iuris species et non alius ... concessit et iuste exercendas recognovit); Vogt Hermann seinerseits versprach, seine Befugnisse nicht zu überschreiten (se non transgressurum fideliter promittebat).

Ausstellung der Urk. zur Verhinderung künftiger Übertretungen.

Insert des ksl. Edikts (Es folgt wörtlich Nr. 509 von Der Ks. glaubt bis constitutuma est.).

Originaldatierung:
Inchoata sunt haec apud Goslariam a.v.i. 1188, ind. 6, 8 kal. aug. Consummata vero apud Gandersem eodem anno, eadem ind., 5 id. aug.
Zeugen:
(Testes): Pröpstin Judith, Dekanin Adelheid, Kanonisse Hedwig, die Tochter Gf. Hermanns, Kaplanin Luckardis; die Kapläne Berthold, Gottfried und Albero, Burchard von Eimsen, Arnold und Gerhard von Cantelsem, Truchseß Ortwin, Kämmerer Udo, Heinrich, der Sohn Aschwins, Giselbert, Johannes, Gerhard, Eilhard, Heinrich, Friedrich und viele andere.

Überlieferung/Literatur

Ü: A StA Wolfenbüttel, Urkk.-Abt. 6 Reichsstift Gandersheim Nr. 28.

D: Lünig, Reichs-Archiv 18b S. 34f. Nr. 29 (Zeugenliste unvollständig). (A).

Kallen, Das Gandersheimer Vogteiweistum von 1188, in: FS Alois Schulte (1928) S. 149f. (A).

R: Stumpf Nr. 4494a. UB Stadt Goslar 1 Nr. 314 (mit vollständiger Zeugenliste).

Textkritik

  1. aHier als einzige Abweichung im Insert: institutum.

Anmerkungen

  1. 1Dieser Grundsatz wurde besonders in der Philosophie entwickelt (vgl. Thomas von Aquino, Summa Theologica, Suppl. Qu. 55 art. 2 n. 1), aber schon von Johannes Bassianus (2. H. 12. Jh.) als Mittel der juristischen Argumentation benutzt. Vgl. Söllner, Die causa im Kondiktionen- und Vertragsrecht, in: ZRG. RA 77 (1960) S. 182ff., 187f., 196f.

Nachträge

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Empfohlene Zitierweise

RIplus URH 1 n. 504, in: Regesta Imperii Online,
URI: http://www.regesta-imperii.de/id/e4b2d57f-a5d3-4532-915c-24944a8681e0
(Abgerufen am 23.04.2024).

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