RIplus | Urkundenregesten Hofgericht 2 - Die Zeit von Philipp von Schwaben bis Richard von Cornwall (1198-1272)

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Kg. Otto IV.: Weil das menschliche Erinnerungsvermögen schwach und den unruhigen Zeitläuften nicht gewachsen ist, haben frühere Kgg. und Kss. festgesetzt, die Vorgänge, die im Lauf der Zeit dem Gedächtnis zu entschwinden drohen, durch Schriftzeugnisse festzuhalten (scripture testimonio committere).

Bereits mehrfach hat Bf. Johann [III.] von Cambrai dem Kg. schwere Klagen über die Bürger von Cambrai vorgelegt (graves [...] querimonias [...] frequenter proposuit), da diese aufgrund eines ihnen von Ks. Friedrich [I.] als Stadtfrieden gewährten Privilegs1 nicht nachließen, die Rechte des Bf. und Freiheiten der Kirche in dieser Stadt zu unterlaufen und zu brechen (iura [...] et libertatem [...] evacuere et infringere non desistunt). Sie gingen in ihrem Übelwollen gegen Bf. und Kirchen so weit, daß sie vom Bf. vor drei Jahren exkommuniziert wurden. Dieses Exkommunikationsurteil hat Papst Innozenz [III.] bestätigt2 und in den französischen Provinzen verkünden lassen, ohne daß sich die Bürger von Cambrai darum scherten.

Da der Klerus der Stadt die Unterdrückungen nicht mehr ertragen konnte und aus Furcht, durch das Zusammenleben mit jenen selbst der Exkommunikation zu verfallen, gezwungenermaßen während dieser drei Jahre außerhalb der Stadt lebte, ließen die besagten Bürger in Verletzung der Rechte Gottes (in iniuriam Dei) und zum Spott der kirchlichen Jurisdiktion abtrünnige und exkommunizierte Priester in den Kirchen öffentlich Gottesdienst halten.

Darum hat der Bf. den Kg. untertänig gebeten (humiliter et devotemaiestati nostre supplicavit), dieses Privileg, das den Bosheiten der Bürger Nahrung gibt, zu widerrufen (ut scriptum illud [...] revocaremus) sowie ihm und seinen Kirchen in dieser Stadt volle Freiheit zu gewähren (concederemus plenariam libertatem).

In dem Bestreben, die unerträgliche Dreistigkeit der Bürger zu bezwingen sowie den Bf. und dessen Nachfolger und den gesamten Stadtklerus vor Schaden zu bewahren, hat der Kg. mit Rat seiner Fürsten dieses und etwaige andere, den Freiheiten von Bf. und Kirche widersprechende Privilegien widerrufen (principum nostrorum consilio predictum scriptum [...] auctoritate imperiali revocamus), um niemand mehr Gelegenheit zu geben, gegen Bf. und Klerus anzugehen, und spricht ihnen jede Wirksamkeit ab (viribus carere penitus decernimus). Er übergibt die Stadt Cambrai dem Bf. und dessen Nachfolgern mit allem Recht und voller Regierungsgewalt ohne Vorbehalt irgendwelcher Jurisdiktion für die Bürger, die diese im Namen der Kommune oder von Gewohnheiten, die sie Frieden nennen, beanspruchen (civitatem [...] cum omni iure, regimini et plenaria dispositione [...] concedimus, nulla iurisdictione prefatis civibus nomine communie vel consuetudinum quas pacem nominant reservata).

Der Kg. bestimmt ferner (Statuimus), daß es dem Bf. und dessen Nachfolgern zusätzlich zu den ihnen zustehenden Rechten noch freistehen soll, in der Stadt Vorsteher, besonnene Schöffen und Männer mit gutem Leumund einzusetzen. Sie dürfen selbst Klagen der Bürger anhören und entscheiden oder können dies den Vorstehern überlassen.

Originaldatierung:
Act. a.d.i. 1208, a.r. 11.a Dat. apud Augustam, 3 id. ian., ind. 12.a
Zeugen:
(Testes [...] huius rei): Patriarch Wolfger von Aquileia, die Bff. Otto [II.] von Freising, Manegold von Passau, Konrad von Brixen, Engelhard von [Naumburg-]Zeitz, Friedrich von Trient, Meinard von Chur sowie Elekt Siegfried von Ausgburg, die Hzgg. Ludwig [I.] von Bayern und Otto von Meranien, Bgf. Gebhard von Magdeburg, die Gff. Burchard von Mansfeld und Albert von Everstein, Marschall Heinrich von Kalden, Truchseß Gunzelin von Wolfenbüttel, Schenk [Walter] von Schüpf, Dekan Adam von Cambrai, Kaplan Balduin, Jakob Rotheracensis und andere mehr.
Pön:
Bann; 1000 Pfd. Gold.

Überlieferung/Literatur

Ü: A AD Lille, 3 G 9 / 90.

Siegel nicht mehr vorhanden.

B1 BM Cambrai, A 1152 (früher: Cod. 1029) (Lib. privileg. Camer.; 13. Jh.; Transsumpt in Urk. Kg. Friedrichs II. von 1215 Juli 29 [mit Datum 1210]) Bl. 101-102v.

B2 BM Cambrai, A 1152 (früher: Cod. 1029) (Lib. privileg. Camer.; 13. Jh.; Transsumpt in Urk. Kg. Friedrichs II. von 1215 Juli 29 [mit Datum 1208]) Bl. 103v-105v Nr. 53.

B3 AD Lille, 4 G 844 (früher: G H 1) Nr. 3 (Cartul.; kollationierte Perg.-Abschrift von A; E. 15. Jh.) Bl. 2r-v.

D: H.-B. 1,2 S. 402ff.(B2).

R: RI 5 Nr. 252. – Dobenecker 2 Nr. 1395. – Asseburger UB 1 Nr. 43.

Kommentar

Die Urk. wurde unter Benützung der Urk. von 1182 Mai 21 (URH 1 Nr. 464; Stumpf Nr. 4339) in der kgl. Kanzlei (von OC) verfaßt und geschrieben (RI 5,4 BF. 252). – Vgl. Nr. 8, 39, 52, 76f, 79, 82, 115.

Textkritik

  1. a– a) Nur in B1.

Anmerkungen

  1. 1Von 1182 Mai 21 (URH 1 Nr. 464; Stumpf Nr. 4339) bzw. 1184 Jun. 20 (URH 1 Nr. 472; Stumpf Nr. 4377).
  2. 2Mit Schreiben von 1206 Juli 13 an Guido, Ebf. von Reims und Legat des apostolischen Stuhls, sowie an dessen Suffragane; vgl. Potthast 1 Nr. 2841. Der Papst hatte bereits mit Schreiben von 1206 (Feb. 17) Otto IV. darauf hingewiesen, Bf. Johann von Cambrai empfangen und dessen Darlegungen zur Kenntnis genommen zu haben; vgl. Potthast 1 Nr. 2689.

Nachträge

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Empfohlene Zitierweise

RIplus URH 2 n. 38, in: Regesta Imperii Online,
URI: http://www.regesta-imperii.de/id/dd7b034f-14f2-44b0-8e29-f043f1b11543
(Abgerufen am 25.04.2024).

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