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RI I Karolinger 715-918 (926/962) - RI I,4,2

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Unter Vorsitz des Papstes Nikolaus (I.) entscheidet eine von den Erzbischöfen Thietgaud von Trier und Gunther von Köln besuchte Synode in Rom: (1) Die Beschlüsse der im Juni 863 (nuper, id est sub piissimo imperatore Hludowico per indictionem XI., mense Iunio) in Metz (in Metensium urbe) von Thietgaud und Gunther veranstalteten Synode (n. 642), die als prostibulum bezeichnet wird, werden nach Vorbild der ephesinischen Räubersynode kassiert. (2) Die Erzbischöfe Thietgaud von Trier, Primas der belgischen Provinz, und Gunther von Köln (Teutgaudum Treverensem et primatem Belgicę provincię, Guntarium Agripinę Colonię archiepiscopos), die sich zu ihrem Verhalten in der Angelegenheit König Lothars (II.) mit dessen Frauen Theutberga und Waldrada sowie zur Verletzung des auf den Rat Erzbischof Tados von Mailand und anderer Bischöfe ausgesprochenen päpstlichen Beschlusses gegen die Gemahlin (des italischen Grafen) Boso, Ingiltrud (n. 537), schriftlich und mündlich bekannt hätten, werden ihres priesterlichen Amtes ohne Hoffnung auf Restitution enthoben und die Pflege der Gemeinschaft mit ihnen verboten. (3) Den übrigen bischöflichen Komplizen Thietgauds und Gunthers werden Vergebung und Wiedereinsetzung in ihr Amt bei Bekundung ihrer Unterwerfung durch Boten oder Briefe an den Papst angeboten. (4) Die Tochter des Grafen Matfred (von Orléans), Ingiltrud, die ihren Mann (den italischen Grafen Boso) seit sieben Jahren verlassen hat, wird erneut gebannt; die Gemeinschaft mit ihr bei Androhung des Verlustes eines priesterlichen Amtes oder der Exkommunikation verboten. Bei Rückkehr Ingiltruds zu ihrem Mann und bei Vorsprache in Rom wird ihr die Vergebung in Aussicht gestellt. (5) Allen Übertretern der päpstlichen Anweisungen wird der Bann angedroht.

Überlieferung/Literatur

Druck: Konzilsakten (MG Conc. IV 152-155).

Insert: n. 671; n. 672; n. 673; n. 674.

Erw.: n. 676; n. 684; n. 697; n. 701; n. 863; Lib. pont. (Duchesne II 160); Brief des Kölner Klerus und Volkes an die Kölner Suffragane von 870 (MG Epist. VI 242f. n. 2); Ann. Bertiniani a. 863 (Grat 99); Ann. Fuldenses a. 863 (MG SS rer. G. [7] 58); Ann. Xantenses (MG SS rer. G. [12] 22); Ado von Vienne, Chr. (MG SS II 323); Brief Johannes’ VIII. an Ludwig III. von 878 (JE 3211; MG Epist. VII 102f. n. 111); Regino von Prüm, Chr. (MG SS rer. G. [50] 83f.); Johannes von St. Arnulf, Translatio s. Glodesindis 28 (MG SS XXIV 506 Anm. 1; Nachtrag aus der Chr. Univ. Mettensis zur Translatio); Ann. Elnonenses (Grierson 146); Ann. Lobienses (MG SS XIII 232); Anselm von Lüttich, Gesta (MG SS VII 199); Gesta episcoporum Mettensium (MG SS X 541); Brief Innozenz’ III. von 1201 Juni 1-5 (Innozenz, Register V, 95); Thomas Ebendorfer, Catalogus (MG SS rer. G. NS XXII 84).

Reg.: Goerz, Reg. Trier 2; Goerz, Mittelrhein. Regesten 183 n. 648; Böhmer-Mühlbacher 1267b; Böhmer-Mühlbacher2 n. 1302b; JE I p. 351; Heydenreich, Metroplitangewalt Trier 148 n. 31; Oediger, Reg. Köln I 61 n. 193; GP VII 22 n. 24; GP X 30 n. 24.

Lit.: Dümmler, Ostfränk. Reich II 68-73; Hauck, Kirchengeschichte 2 II5 566-570; Parisot, Lorraine 233f.; Hefele-Leclercq, Hist. IV,1 330f.; Hartmann, Geschichte Italiens III/1 256; Perels, Nikolaus 82-85, 218f.; Haller, Nikolaus 45; Heydenreich, Metroplitangewalt Trier 86; Ewig, Kaiserliche Tradition 173; Grotz, Hadrian 92; Oediger, Gesch. Köln I 91f.; Staubach, Herrscherbild 147; Kottje, Ehe Lothars 100 und 102; Hartmann, Synoden 282-284; Fuhrmann, Widerstände gegen den päpstlichen Primat 726; Georgi, Legatio 98; Hartmann, Konzilien und Geschichtsschreibung 488f., 491, 493f.; Georgi, Erzbischof Gunthar 1, 26-31; Schieffer, Beziehungen karolingischer Synoden 153; Heidecker, Kerk, huwelijk en politieke macht 175; Bougard, Divorce de Lothaire 44; Esmyol, Geliebte 164, 168; Bigott, Ludwig der Deutsche 143, 177; Scholz, Politik 193; Patzold, Episcopus 369.

Kommentar

Zur Überlieferung der erhaltenen Akten vgl. Werminghoff, Synoden 634 sowie Hartmann, MG Conc. IV 150f. und Bernhard, Coll. en deux livres II (c. 281) 474f. Besonders Abschnitt (5) ist mehrfach auch in Kanonessammlungen überliefert, vgl. Gratian, Decretum C. XVIII q. II c. 25 (Friedberg 836). Die Beschlüsse sind zudem durch Insert in die anschließend ausgestellten Informationsschreiben n. 671, n. 672, n. 673, n. 674 tradiert; zu weiteren mit der Synode zusammenhängenden Schreiben vgl. Werminghoff und Hartmann in MG Conc. IV. Die historiographischen Quellen berichten fast ausnahmslos nur zu (2); vgl. zu der Erwähnung in den Ann. Bertiniani Meyer-Gebel, Arbeitsweise 94f. sowie Hartmann, Konzilien und Geschichtsschreibung (hier auch zu den Ann. Fuldenses, den Ann. Xantenses und zu Regino). Die Erwähnung im Brief Johannes’ VIII. bezieht sich lediglich auf (4). – Über die anwesenden Personen sind wir nur unzureichend unterrichtet; Anselm von Lüttich erwähnt neben den beiden Erzbischöfen auch König Lothar II. Mit Sicherheit befand sich der Überbringer von n. 673, Diakon Engelwin, zu dieser Zeit in Rom und nahm möglicherweise an der Synode teil. Laut Fleckenstein, Hofkapelle I 147f. handelt es sich um einen Vertrauten König Karls des Kahlen, der die Interessen Theutbergas vertreten habe. Das in Abschnitt (3) enthaltene Angebot des Papstes auf Verzeihung für die bischöflichen Komplizen Thietgauds und Gunthers scheinen diese wohl größtenteils angenommen zu haben. Entschuldigungsschreiben an Nikolaus sind jedoch nur noch von Rathold von Straßburg (n. 694) und von Adventius von Metz (n. 679) erhalten, Antwortschreiben des Papstes mit Gewährung der Verzeihung sind an Franko von Tongern (n. 718) und an Adventius von Metz (n. 721) überliefert. Die möglichen Briefe weiterer Bischöfe und die päpstlichen Antworten darauf dürften ähnlich gelautet haben. Zum späteren Schreiben des Kölner Klerus von 870 vgl. GP VII 30 n. 52 und 135 n. 1. Zur Ladung des Gradenser Patriarchen zur Synode vgl. n. 660. Zum Ort der Synode im Lateran sub Apostolis, wie im Lib. pont. erwähnt, vgl. Lauer, Latran 133. Von der in n. 863 erwähnten Verfälschung päpstlicher Briefe bezüglich Ingiltrud durch Gunther und Thietgaud ist hier keine Rede, vgl. n. 593. – In ihrer späteren Beschwerdeschrift (n. 684) bemängeln die abgesetzten Erzbischöfe die dreiwöchige Wartezeit und ein zunächst positives päpstliches Urteil (n. †[?] 667); sie kritisieren insbesondere die Art ihrer Verurteilung, die ohne Synode, kanonische Prüfung, Kläger, Zeugen, Verhör oder Überführung durch Autoritäten stattgefunden habe. Die Abwesenheit ihrer Mitbischöfe heben sie eigens hervor und werten die Absetzung insgesamt als einen willkürlichen und tyrannischen Akt des Papstes. Die von ihnen erwähnte Mithilfe des Anastasius Bibliothecarius scheint Perels, Nikolaus 217-220 durchaus zutreffend zu sein. Die spätere Kritik am Verfahren der Synode ist aus kanonistischer Sicht berechtigt (vgl. diesbezüglich die kritischen Anmerkungen Georgis 27-31), zumal die in Metz anwesenden päpstlichen Legaten (vgl. n. 642) zunächst Rechenschaft schuldig gewesen wären. Auch fehlt eine ausführliche Begründung aus päpstlicher Sicht, die erst n. 863 erkennen läßt. Zu den späteren Bemühungen um kaiserliche Unterstützung vgl. außer n. 688 auch Böhmer-Zielinski n. 213. Die Ann. Xantenses berichten wohl irrig, den Erzbischöfen sei die priesterliche Tätigkeit nur auf Zeit verboten worden (... eisque omni officio sacerdotali ad tempus interdicto dimissi sunt). Dieser Irrtum des Annalisten ist den übrigen von Löwe, Annales 80 vermerkten Ungenauigkeiten hinzuzufügen. Laut Staubach, Sedulius Scottus 559-561 nahm Gunther bei seiner Romreise auch eine Bibelhandschrift mit Widmungsgedicht des Sedulius Scottus zur Übergabe an den Papst mit – ob diese tatsächlich erfolgte, wissen wir nicht. Datiert wird die Synode gemeinhin auf den 30. Oktober 863, wie es im Einladungsschreiben an Vitalis von Grado (n. 660) vorgesehen war.

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Empfohlene Zitierweise

RI I,4,2 n. 670, in: Regesta Imperii Online,
URI: http://www.regesta-imperii.de/id/c8966492-f9d7-4219-9b8e-6dd9b20dbab5
(Abgerufen am 28.03.2024).