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RI XI Sigmund (1410-1437) - RI XI Neubearb., 3

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K. S. – der anführt, dass er, nachdem Graf Friedrich [VII.] von Toggenburg (der edel graf Friderich von Dokenburg) ohne Lehenserben von namen, schilt und helm gestorben ist, und diejenigen, die als Friedrichs Erben galten, ihre Ansprüche auf dessen Grafschaften, Herrschaften und andere Lehengüter nicht angemeldet haben und demnach auch nicht anerkannt worden sind. Deshalb sind diese Lehen ihm und dem Reich heimgefallen und er hat volles Recht, über diese zu verfügen – verleiht (geben, reichen, leihen und machen) mit wohlbedachtem Mut, rechtem Wissen und gutem Rat seiner und des Reiches Getreuen aus besonderer Gnade und römisch-ksl.er Machtvollkommenheit (von römischer keiserlicher macht volkomenheit) dem edlen Kaspar Schlick (der edell Gasper Slick, ritter), seinem Kanzler, in Ansehung der treuen Dienste, die ihm dieser lange geleistet hat, täglich leistet und in Zukunft noch leisten soll, sowie dessen Lehenserben und allen, die diese Urk. mit deren Willen innehaben werden, die oben genannten erledigten Grafschaften, Herrschaften, Lehen und Güter, namentlich Toggenburg (Tockenburg), Belfort (Belffort), Davos (Tafaus), Prättigau (Pretengoͤw) und alle andere Lehengüter, die der verstorbene Graf Friedrich von ihm und dem Reich zu Lehen besessen hat, mit allen Rechten, Nutzen, Mannschaften, Hochgerichten und anderen Gerichten, Wildbannen, Städten, Burgen (slossen), Dörfern, Tälern, Leuten, geistlichen und weltlichen Lehen (lehenschaften) und allem anderen Zubehör, um es als Lehen von ihm und dem Reich ungehindert zu empfangen, innezuhaben und zu genießen. S. bevollmächtigt (geben […] vollen gewalt, gunst und macht) Kaspar und dessen Erben, diese Lehengüter an Reichsfürsten, Grafen, Herren oder andere [Personen] verkaufen, versetzen, tauschen oder veräußern zu dürfen. Derjenige, an den Kaspar oder dessen Erben diese Güter veräußern sollten, soll mit dessen Erben und Nachkommen über alle damit verbundenen Rechte verfügen und S. verleiht (leihen und reichen) ihm und dessen Erben yecz als dann und dann als yecz alle diese Lehengüter, um sie ungehindert innezuhaben, zu besitzen und zu genießen (nach Kop.).

Originaldatierung:
an sandt Bartholomeus tag
Kanzleivermerke:
KV: Ad mandatum domini imperatoris Hermanus Hecht (nach Kop.).

Überlieferung/Literatur

Orig. im bearbeiteten Bestand nicht überliefert. – Kop. (wohl einer Fälschung Kaspar Schlicks aus dem Jahr 1437) dt.: Vidimus des Völck Syfrid, Landrichter von der Leutkircher Heide und in der Pirs vom 14. September 1439, Tettnang, in SOA Třeboň, Bestand Cizí statky Třeboň, Inv. Nr. 55, Sign. Belfort II 19 a Nr. 1, Kart. 6 (B).

Reg.: RI XI, Nr. 12059.

Lit.: Oechsli, Der Streit um das Toggenburger Erbe; Dierauer, Geschichte, II, S. 36–65; Dvorák, Fälschungen, S. 86; Polách, Urkundenfälschungen, S. 76–77; Zechel, Studien, S. 293–297; Meyer-Marthaler, Toggenburger Erbfall; Novotný, Šlikové, S. 97–98; Elbel – Zajic, Die zwei Körper, I, S. 116.

Kommentar

Die Urk. wurde von der Mehrheit der Forscher, die sich mit den Fälschungen Kaspar Schlicks beschäftigt haben, als stark verdächtig oder gefälscht eingeschätzt. Gegen ihre Echtheit spricht schon die Tatsache, dass sie nicht ins Reichsregister eingetragen wurde, was zwar bei vielen echten Diplomen auch der Fall war, bei einem so bedeutenden Reichslehen jedoch kaum anzunehmen ist, zumal die Mehrzahl der Fälschungen Schlicks auf dessen Betreiben auch registriert wurden.

Den meisten Forschern schien aber vor allem ganz unglaubwürdig, dass Schlick – damals zwar schon der mächtige oberste Reichskanzler, standesmäßig aber nur Inhaber der Ritterwürde (nach anderen Ansichten bereits Freiherr) – einen derart riesigen Komplex von Grafschaften und Herrschaften auf dem Gebiet der heutigen östlichen Schweiz und des westlichen Österreich erwerben hätte sollen. Obwohl S. Schlick für dessen Dienste bestimmt sehr verpflichtet war und ihm neben vielen anderen Begünstigungen auch die Heirat mit einer schlesischen Fürstentochter vermittelte, wäre die Belehnung Schlicks mit einer derart ausgedehnten und gewichtigen Grafschaft in der politischen Öffentlichkeit des Reichs kaum akzeptabel gewesen. Daher ist es auch schwer vorstellbar, dass S. Schlick aus eigenem Interesse zur Erneuerung der Reichsrechte im Südwesten des Reichs ausnützen hätte wollen, wie Artur Zechel vermutet hat.

Zechel verteidigte die Echtheit der Urk. mit der verfehlten Argumentation, dass es vor allem für Schlick sinnlos gewesen wäre, sich eine entsprechende Fälschung anzufertigen, wenn so viele mächtige Konkurrenten nach dieser erledigten Grafschaft strebten. Schlick hätte um die Durchsetzung seiner Ansprüche zäh ringen müssen, wobei die Gefahr der Aufdeckung seiner Fälschertätigkeit groß gewesen wäre. Zechel fragt: "Was hätte in einem so schwierigen Falle […] eine gefälschte Urkunde nutzen sollen?"1 Diese Frage lässt sich jedoch relativ einfach beantworten. Schlick "sammelte" seit den 1420er-Jahren Lehens- oder Pfandbriefe über verschiedene erledigte Reichslehen, die im "rechtswidrigen" Besitz anderer Personen waren und die an sich zu bringen bzw. zu beherrschen er niemals de facto imstande war. Schlick glaubte aber wahrscheinlich selbst nicht an die volle Durchsetzung seiner Rechte, sondern versuchte, gegen seine Konkurrenten Prozesse anzustrengen, um sie dann zu einem Kompromiss zu zwingen, in dem Schlick üblicherweise für eine bestimmte Geldsumme auf die Fortführung des Prozesses verzichtete.2 Es ist daher gut möglich, dass sich Schlick nach diesem Modell auch in der Toggenburger Causa verhielt.

Seine Rechtsansprüche auf Toggenburg erhob Schlick jedenfalls erst unter Kg. Albrecht II.; kurz vor dem 29. Juni 1439 verzichtete er schließlich förmlich auf die Grafschaft.3 Es ist möglich, dass Schlick, der den Verlauf des Toggenburger Erbstreites gut kannte, die oben regestierte Urk. erst unter Albrecht oder noch unter S., aber höchstwahrscheinlich ohne dessen Wissen und Willen, anfertigte; diesfalls wäre das Stück als Kanzleifälschung zu bezeichnen. Das Falsum dürfte Schlick offenbar vor allem dazu gedient haben, sich in den Streit um Toggenburg einmischen und durch seinen Verzicht eine – sicher nicht unbeträchtliche – Geldsumme lukrieren zu können.

Anmerkungen

  1. 1Zechel, Studien, S. 295.
  2. 2Mehrere Beispiele nennt schon Zechel, Studien, passim; zuletzt siehe Elbel – Zajic, Die zwei Körper, I, S. 87.
  3. 3RI XI, Nr. 1048.

Nachträge

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Empfohlene Zitierweise

RI XI Neubearb., 3 n. 249, in: Regesta Imperii Online,
URI: http://www.regesta-imperii.de/id/ba9afc57-1c0f-4bb8-86ec-7cf00d64d666
(Abgerufen am 29.03.2024).