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RI I Karolinger 715-918 (926/962) - RI I,4,2

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Papst Nikolaus (I.) teilt dem Episkopat im Reich Ludwigs (des Deutschen) (archiepiscopis et episcopis in regno Hludowici gloriosi regis) sein Bedauern über dessen Parteinahme für die gebannten (Erzbischöfe) Thietgaud (von Trier) und Gunther (von Köln) mit, bemängelt die Untätigkeit der Bischöfe in der Angelegenheit Waldradas und Ingiltruds, der Gemahlin des (italischen Grafen) Boso, und schildert erneut ausführlich die Umstände, die zur Absetzung der beiden genannten Erzbischöfe (n. 670) geführt hätten. Er erwähnt das durch Boso von Papst Benedikt (III.) erwirkte Schreiben (n. 407), weitere eigene Briefe (n. 478, n. 517, n. 518), den Bann über Ingiltrud durch die Mailänder Synode und den Papst (n. 537) sowie den Brief an Bischöfe und Getreue im Reich König Lothars (II.) (n. 538). Der Papst berichtet mit Verweis auf seine (verschiedenen Mahn)schreiben über König Lothars (II.) Heirat mit Waldrada, ohne den vom König selbst erbetenen (n. 574) und vom Papst versprochenen (n. 579) Entscheid abzuwarten, sodann über die Appellationen Theutbergas (n. 496, n. 508 und n. 575), die Entsendung seiner Legaten samt deren Schwierigkeiten auf dem Weg (n. 589, n. 600, n. 597, n. 602), die Abhaltung der Metzer Synode (n. 642) und die Absetzungssentenz des Papstes (n. 670) mit folgenden Begründungen: 1. Thietgaud und Gunther haben nicht die päpstlichen Weisungen in Bezug auf Ingiltrud, Theutberga und Waldrada befolgt. 2. Unter Verstoß gegen das Konzil von Nikaia und gegen die Weisung des Papstes Gelasius (I.) (JK 701 und JK 664) haben sie die päpstlich und synodal gebannte Ingiltrud aufgenommen. 3. Sie haben die Ingiltrud betreffenden päpstlichen Briefe (n. 593) für die Metzer Zusammenkunft (n. 642) entstellt. 4. Sie haben durch ihr Verhalten den Ehebruch unterstützt. 5. Sie haben die Appellationen Theutbergas (n. 496, n. 508 und n. 575) und Lothars (II.) (n. 574) an den Heiligen Stuhl nicht beachtet und Theutberga verurteilt. 6. Sie haben deren Verurteilung in ihrer Abwesenheit ausgesprochen. 7. Sie haben das Metzer Protokoll (n. 642) selbst unterschrieben und andere zur Unterschrift veranlaßt. – Darüber hinaus führt der Papst weitere Vergehen der (Erzbischöfe) Thietgaud und Gunther nach deren Verurteilung auf, wie die Beschuldigung des Papstes (n. 684), die erneute Anklage Theutbergas, deren Verurteilung ohne Ankläger, die Zulassung königlich beeinflußter Zeugen, den Verstoß gegen ihr priesterliches Amt durch eine Schmähschrift (n. 684), die Belästigung des Kaisers, die Ermunterung Lothars zu weiterem Verharren in der Sünde, den tätlichen Angriff auf den Papst (vgl. n. 688), den Verstoß gegen das Konzil von Chalkedon durch Abhaltung eigener Konzilien und Beratungen in Rom und in den wichtigsten Orten der römischen Diözese, das Verharren in ihren Kirchen und schließlich die Verletzung des Priesteramtes (divinum ministerium) durch Gunther. Der Papst berichtet von einem in Metz anwesenden Bischof, der über die Rasur eines Protokollzusatzes zur Gültigkeit der Metzer Sentenz nur bis zum päpstlichen Urteil durch Thietgaud und Gunther erzählt habe und fordert (mit teilweise wörtlichen Übernahmen aus n. 861 und n. 862) den Episkopat deshalb auf, sich nicht mehr für Thietgaud und Gunther zu verwenden, die bei Buße zwar andere kirchliche Ämter und Benefizien (alia ministrationis ecclesiasticae … beneficia), jedoch nicht mehr ihr früheres Amt erhalten können, sondern vielmehr zusammen mit König Ludwig (dem Deutschen), Lothar (II.) zu einer dem (Ehe)sakrament und dem vor dem päpstlichen Legaten (Arsenius) geleisteten Eid (vgl. n. 759) entsprechenden angemessenen Behandlung Theutbergas und zur Entsendung Waldradas nach Rom zu ermahnen; Lothar (II.) möge hingegen nur nach Genugtuung und auf päpstliches Geheiß nach Rom kommen, schließlich solle König Ludwig (der Deutsche), den er über den vorliegenden Brief informiert habe (n. 862), in den genannten Kirchen (Köln und Trier) neue Vorsteher weihen lassen.

Originaldatierung:
Data pridie Kalendas Novembris indictione prima.
Incipit:
Gaudemus quidem, fratres, et plane ...
Empfänger:
Episkopat im Reich Ludwigs (des Deutschen)

Überlieferung/Literatur

Orig.: –.

Kop.: Ende 9. Jh., Paris Bibl. nat.: Ms. lat. 1557 fol. 48r-52v; 12. Jh., Trier Stadtbibl.: Ms. 1081/29 fol. 15r-21r (50r-56r); 16. Jh., Rom Bibl. Vallicelliana: C 15 fol. 190r-201r; 17. Jh., Paris Bibl. nat.: Ms. lat. 3859A fol. 117v-128v.

Erw.: n. 862; Ann. Fuldenses a. 868 (MG SS rer. G. [7] 66).

Drucke: Carafa, Epist. III 211; Sirmond, Conc. Gall. III 343; Conc. coll. reg. XXII 331; Labbe-Cossart, Conc. VIII 446; Hartzheim, Conc. Germ. II 334; Mansi, Coll. XV 333; Migne, PL CXIX 1163; (Bouquet, Recueil VII 432; Floß, Papstwahl II 37 n. 6; MG Epist. VI 340-351 n. 53.

Reg.: Bréquigny, Table I 278; J 2185; Goerz, Mittelrhein. Reg. 188 n. 662; JE 2886; Böhmer-Mühlbacher 1281d; Böhmer-Mühlbacher2 n. 1316a; Oediger, Reg. Köln I 73 n. 219; GP VII 28 n. 48; GP X 35f. n. 44.

Lit.: Dümmler, Ostfränk. Reich II 170f.; Parisot, Lorraine 303-305; Perels, Nikolaus 145-150 und 251-253; Haller, Nikolaus 74; Bishop, Nicholas 148, 185, 209, 229, 262 Anm. 2, 299-302; Staubach, Herrscherbild 145, 195; Hartmann, Fälschungsverdacht 120; Anton, Synoden 105; Georgi, Erzbischof Gunthar 20 Anm. 95, 21, 31; Heidecker, Kerk, huwelijk en politieke macht 142, 194f., 201; Ubl, Doppelmoral 97.

Kommentar

Zu den Handschriften und zur Überlieferung vgl. Perels, Briefe I 550-553, 562f. und 565-569 sowie Jasper, Beginning 112-114 und 117. Einige der in n. 862 aufgeführten kanonistischen Sammlungen nennen keinen Adressaten und könnten sich daher auch auf diesen Brief beziehen. Das wohl zusammen mit n. 861 und n. 862 ausgestellte und übermittelte Schreiben schildert ausführlich die Umstände im Zusammenhang mit der Absetzung der Erzbischöfe von Köln und Trier, Gunther und Thietgaud; zur möglichen Verfasserschaft des Anastasius vgl. Perels, Nikolaus 251-253. Vielleicht bewirkte eine massive Stellungnahme zugunsten der Metropoliten die Ausführlichkeit, jedoch ist ein entsprechender Brief der Bischöfe nicht überliefert, vgl. auch Parisot. Das Schreiben wurde bereits von mittelalterlichen Autoren als wichtige Quelle für die Darstellung der Ereignisse von ca. 860-867 benutzt, z. B. durch Regino von Prüm, vgl. Kurze in MG SS rer. G. [50] 81 Anm. 2; zu den im Brief aufgegriffenen Episoden vgl. jeweils die im Regest genannten Regestennummern und die Literaturangaben. – Der Text schöpft wohl teilweise aus den verlorenen Synodalakten von Metz (n. 642), wie kleinere wörtliche Übereinstimmungen mit den Beschlüssen der römischen Synode (n. 670) indirekt nahelegen. Im Anschluß an die Erzählung der Vergehen Gunthers und Thietgauds sind weiterhin wörtliche Übernahmen aus n. 861 und n. 862 festzustellen, so daß die bei n. 862 aufgeführte kanonistische Überlieferung möglicherweise auch dem vorliegenden Stück zugeordnet werden kann. Vor allem bei der Darlegung der päpstlichen Vorwürfe gegen die Erzbischöfe finden sich mehrfach Bezüge oder Anspielungen auf frühere Päpste und Konzilien: zur Darstellung der päpstlichen Amtsübernahme durch Nikolaus I. vgl. JK 255 (Migne, PL LXVII 231; Hinschius, Decretales 520), zur Schilderung der Angelegenheit Ingiltruds vgl. JK 701 (Schwartz, Publizistische Sammlungen 15) und c. 5 des Konzils von Nikaia (Turner, Eccl. Occ. Mon. I 118f.; Hinschius 258). Besonders häufig werden diese zusammen mit Bibelzitaten bei den sieben Anklagepunkten kombiniert, die angeblich stellvertretend für die zahlreichen weiteren Vergehen stehen und die erstmals eine genauere, auch rechtliche Begründung des Papstes für die Synodalentscheidung von 863 (n. 670) bieten; so wird auf JK 664 (Mansi, Coll. VIII 49-63; Hinschius 641-645), erneut auf JK 701, den c. 33 der canones apostolorum (Turner, Eccl. Occ. Mon. I 22f.), erneut auf den c. 5 des Konzils von Nikaia und auf den c. 3 des Konzils von Serdika (Mansi, Coll. III 23; Hinschius 267; vgl. Hess, Sardica 119-126) zurückgegriffen. Vgl. auch die im Anschluß daran anklingenden Bezüge auf c. 18 des Konzils von Chalkedon (Schwartz, Acta II, 2; 38, 58, 91; Hinschius 287) und die Anspielung auf die Kapitel 4, 11 und 12 des Konzils von Antiochia (Turner, Eccl. Occ. Mon. II 246-248 und 266-271; Hinschius 270f.), die im Zusammenhang mit der Verletzung des priesterlichen Amtes durch Gunther (hierzu bereits n. 701 und n. 705) und mit der Belästigung des Kaisers angeführt werden, vgl. zum c. 11/12 des Konzils von Antiochia Fuhrmann, Pseudoisidor. Fälschungen II 276. Zumindest ein Teil dieser Bezüge und Anspielungen könnte auf der Kenntnis der pseudoisidorischen Dekretalen gründen. – Die angesprochenen päpstlichen Briefe in der Angelegenheit Ingiltruds sind verloren (vgl. n. 593); weitere Mahnschreiben (scripta nostra) des Papstes nach der erneuten Verbindung Lothars II. mit Waldrada (Böhmer-Mühlbacher2 n. 1297a) sind nicht eindeutig zuzuordnen. Zu der erwähnten neuen Anklage Theutbergas nach dem für sie positiven Gottesurteil vgl. Böhmer-Mühlbacher2 n. 1289e und Dümmler II 12; zur Rolle Kaiser Ludwigs II. nach der römischen Synode von 863 (n. 670) vgl. n. 688 und n. 689; zur Abhaltung von Konzilien in der römischen Diözese durch die beiden Erzbischöfe vgl. Dümmler II 73f. Die im dispositiven Teil des Briefes geforderte Wahl neuer Vorsteher in Köln und Trier war in n. 855 noch an Lothar II. gerichtet; zu den Romreisen Waldradas und Lothars vgl. n. 763, n. 840, n. 841, n. 861 und Perels, Berufungsschreiben 145-149, insbesondere zur Frage der Exkommunikation Lothars.

Nachträge

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Empfohlene Zitierweise

RI I,4,2 n. 863, in: Regesta Imperii Online,
URI: http://www.regesta-imperii.de/id/b5a3cdf3-5aef-4fd5-af96-454f8b8ab859
(Abgerufen am 23.04.2024).