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RI I Karolinger 715-918 (926/962) - RI I,4,3

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Papst Johannes (VIII.) hält in Ravenna ein Konzil ab, auf dem die Kaiserkrönung Karls (des Kahlen) (n. 145) von den Konzilsteilnehmern im Anschluß an eine Predigt des Papstes (sermo domini apostolici Ioannis) (vgl. n. 273) bestätigt wird und folgende Synodalbeschlüsse gefaßt werden: 1.-3. und 5.-14. (nahezu wörtlich werden c. 2-3 und 5-15 der Synode von Rom 875 wiederholt) (vgl. n. 140); 4. kein dux darf dem Papst einen Bischof präsentieren oder Abgaben von Bischöfen verlangen; 15. niemand darf päpstliche Patrimonien, nämlich (das Gebiet um die Via) Appia (Appiae), (das Gebiet um die Via) Labicana (Lavicanense), Kampanien (Campaninum), Tivoli (Tiburtinum), Chieti (Theatinum), beide sabinische (Landschaften), Tuszien, die Leostadt (porticum sancti Petri), die römische Münze, die öffentlichen Abgaben (ordinaria et actionarica publica), das Ufer, die Häfen und Ostia, als Lehen oder anderweitig (beneficiali seu quolibet more) veräußern oder annehmen, andernfalls fällt er dem Anathem anheim; 16. es dürfen päpstliche Besitzungen im Patrimonium Petri (de massis sive de colonis eorundem patrimoniorum sancti Petri apostoli) nicht durch schriftliche Verleihung (zur Nutznießung) (nulla concessionis conscriptio) verteilt werden, noch der Ertrag (frugibus) päpstlicher Güter mißbraucht werden, bei Zuwiderhandlung werden alle, die an einem solchen Vorfall beteiligt sind oder diesem zugestimmt haben, mit dem ewigen Anathem bestraft; 17. Klöster und andere Güter (monasteria, cortes, massas et salas) in den päpstlichen Patrimonien in Ravenna, der Pentapolis, der Emilia und Tuszien dürfen als Lehen (beneficiali more) oder zur Nutznießung (scripto aut aliquolibet modo) nur an im Dienst der römischen Kirche (pro utilitatibus et speciali servitio sanctae Romanae ecclesiae) stehende Personen vergeben werden, bei Verstoß gegen dieses Dekret werden die Beteiligten mit dem Anathem bestraft; 18. die Zehnten (decimas) in jeder Pfarrei dürfen nur von den vom Bischof dazu bestimmten Personen eingezogen werden, wer widerrechtlich Zehnten einzieht oder sie an nicht autorisierte Personen abgibt, gilt als exkommuniziert; 19. kein weltlicher Amtsträger (neque missus, neque comes vel iudex) darf in einem kirchlichen Gebäude eine Gerichtsversammlung (neque placitum, neque hospitium) abhalten.

Überlieferung/Literatur

Druck: MG Conc. V 64-72.

Insert: Pseudo-Liutprand, Liber (Migne, PL CXXIX 1255) (fragm., nur 4 und 18).

Erw.: n. 274; n. 278; n. 405; Ann. Bertiniani a. 877 (Grat 214); Johannes Diaconus, Istoria Veneticorum (Monticolo 124; Berto 138); Andrea Dandolo, Chr. (Pastorello, SS rer. Ital. XII,1 157f.); Chr. de France/Saint-Denis (Bouquet-Delisle, Recueil VII 146).

Reg.: JE I p. 394f.; vgl. JE 3367 (nur 5); Pallieri-Vismara, Acta pont. jur. gentium 10 n. 29; IP V 9 n. *39; Reg. chartarum Pistoriensium 41 n. 50; Böhmer-Zielinski n. 516.

Lit.: Dümmler, Ostfränk. Reich III2 49-51; Buzzi, Ravenna e Roma 125f.; Hartmann, Gesch. Italiens III,2 36-40; Hefele-Leclercq, Hist. IV,2 659-662, 1352f.; Schramm, König von Frankreich I2 44-46; Eckhardt, Protokoll von Ravenna 295-311; Simonini, Autocefalia 180; Gorla, L'arcivescovo Ansperto 45-51; Jasper, Pseudo-Liudprand 75f.; Heidrich, Ravenna 29f.; Vodola, Excommunication 14f. und 17; Rauty, Storia di Pistoia 183; Hartmann, Synoden 347-350; Delogu, Storia economica 25 Anm. 45; Arnold, Johannes 81 Anm. 55, 90-100, 159, 179-181; Scholz, Politik 228-230.

Kommentar

Die Vorbereitungen des Papstes zum Konzil in Ravenna sind aus den zahlreichen im Register Johannes' VIII. überlieferten Einladungsschreiben ersichtlich, vgl. n. 255, n. 256, n. 257, n. 258, n. 262, n. 268 und n. 270; hier zeigt sich, daß sich Johannes VIII. als erster Papst des 9. Jh. intensiv um die Verhältnisse in Oberitalien bemühte, vgl. Hartmann, Synoden 347. Aber auch Kaiser Karl der Kahle hatte ein Interesse an der erneuten Bestätigung seines Kaisertums nach der Niederlage von Andernach (Böhmer-Mühlbacher2 1457i) im Oktober 876, so daß er Bischof Adalgar von Autun zum Papst sandte und um die Einberufung eines Konzils bat; Adalgar überbrachte dem Kaiser nach der Synode eine Abschrift der Akten, vgl. Ann. Bertiniani a. 877 (Grat 214). Möglicherweise ist eine Erwähnung bei Flodoard bezüglich einer vorgesehenen Gesandtschaft (legationem ... ad papam ... dirigendam) Hinkmars von Reims zusammen mit dem Kaiser, die den Papst zu einer synodalen Verurteilung von Kirchenräubern in der Reimser Kirche auffordern sollte, ebenfalls auf das Konzil von Ravenna zu beziehen, vgl. Flodoard von Reims, Hist. III 26 (MG SS XXXVI 339). Die Handlungen und Beschlüsse der Synode sind einerseits ersichtlich aus einem Synodalprotokoll (Ansprache bzw. Predigt des Papstes zum Kaisertum Karls des Kahlen und Bestätigung der Kaiserkrönung durch die anwesenden Erzbischöfe und Bischöfe, vgl. MG Conc. 64-68 sowie ibid. 61 zur Überlieferung) und andererseits durch die 19 Konzilskanones, von denen heute keine handschriftliche Überlieferung mehr existiert (vgl. MG Conc. V 68-72 sowie Hartmann, Synoden 349). Weder im Synodalprotokoll noch in den Akten findet sich eine Liste der Teilnehmer des Konzils. Diese können aber aus den Unterschriften unter das vom Papst und der Synode gewährte Privileg für Adalgar von Autun (n. 274) erschlossen werden; neben den Erzbischöfen Anspert von Mailand und Johannes von Ravenna sowie dem Patriarchen Petrus von Grado finden sich dort die Namen von 47 Bischöfen, die hauptsächlich der römischen Diözese, aber unter anderem auch den Erzbistümern Mailand und Ravenna zuzuordnen sind; sogar drei süditalienische Bischöfe nahmen am Konzil teil, vgl. Hartmann, Synoden 348f. Trotz mehrfacher Ladung (n. 258, n. 269) waren die Suffragane von Grado nicht rechtzeitig erschienen, weshalb sie im Anschluß an die Synode vom Papst exkommuniziert wurden, vgl. n. 276. Der Text von c. 8 ist offenbar verderbt. Zunächst ist davon die Rede, der Schuldige solle sich vierzig Tage von Wasser und Brot ernähren, sodann wird Bezug genommen auf eine (angeblich bereits verhängte) Exkommunikation (quod si hanc excommunicationem suspicati fuerint violasse). Zudem drohen bei Nichtbeachtung der dreifachen Mahnung sowohl die Exkommunikation als auch das Anathem, statt daß zwei Stufen unterschieden werden. Zu den einzelnen Beschlüssen vgl. neben Hartmann auch den Kommentar zur Synode von 875 in n. 140. Einige Kanones von Ravenna haben Eingang in die kanonistische Überlieferung gefunden, vgl. hierzu Hartmann in MG Conc. V 63 und Arnold 44. Nicht immer ist dabei eindeutig zu entscheiden, ob die Kanonessammlungen auf das Konzil von Ravenna 877 oder auf die Synode von Rom 875 (n. 140) zurückgehen, zumal es teilweise falsche Zuschreibungen gibt (c. 7 wird etwa bei Burchard XI 30 [Mansi, PL CXL 866] Papst Eutychianus zugeordnet, vgl. auch JK †151, und c. 3 in Burchards Decretum I 211 [Mansi, PL CXL 611] Papst Honorius I., vgl. JE 2030); vgl. zu weiteren falschen Zuweisungen auch n. 140. C. 5 erscheint auch unabhängig in mehreren älteren Drucken (Baluze, Miscellanea II2 113, Mansi, Coll. XVIIA 244, Muratori, SS rer. Ital. III,2 310, Mansi, PL CXXVI 943) und bei JE 3367; anscheinend wurde hier der Zusammenhang mit dem Konzil von Ravenna übersehen. Im Privileg für Bischof Johannes von Pavia (n. 278) wird explizit auf c. 10 Bezug genommen. Wie Eckhardt 298f. zeigen konnte, geht der Bericht in den Ann. Bertiniani – und auch in den davon abhängigen Chr. de France – auf das Synodalprotokoll zurück, dessen Reimser Abschrift möglicherweise noch zu Lebzeiten Hinkmars von Reims, des Verfassers der Ann. Bertiniani, angefertigt wurde. In der Istoria Veneticorum des Johannes Diaconus ist das Konzil von Ravenna nur im Zusammenhang mit den geladenen und zu spät erschienenen Bischöfen aus Venedig erwähnt. Andrea Dandolo hebt dagegen auf die Anwesenheit des Patriarchen Petrus von Grado ab, die auch durch dessen Unterschrift unter das Privileg für Adalgar von Autun (n. 274) gesichert ist. Auf der Synode von Troyes 878 wurden die Kanones von Ravenna noch einmal insgesamt bestätigt, vgl. n. 405. Zur im Protokoll enthaltenen Predigt des Papstes über das Kaisertum Karls des Kahlen vgl. neben n. 273 ausführlich Arnold. Ursprünglich war der 24. Juni 877 als Konzilsbeginn angesetzt worden, vgl. n. 255, n. 256, n. 257, n. 258, n. 262. Wegen der Reise des Papstes nach Traetto (n. 266) wurde dieser jedoch auf den 21. bzw. 22. Juli verschoben, vgl. n. 268 und n. 270. Die angegebene Datierung der Synode auf August entspricht dem Druck bei Mansi, Coll. XVIIA 335f. Ob diese so in der verlorenen handschriftlichen Überlieferung zu finden war, kann heute nicht mehr geklärt werden. Wenn das Privileg für Angilberga (n. 271) bereits in Ravenna ausgestellt wurde (vgl. Böhmer-Zielinski), wäre der Papst schon am 24. Juli am Konzilsort gewesen; demnach wäre auch ein Konzilsbeginn schon vor dem 1. August denkbar. Hierfür gibt es jedoch ebensowenig einen Beleg wie für die zuletzt von Böhmer-Zielinski vertretene Datierung auf den 1. August 877; die wohl aus JE übernommene Zeitstellung dürfte auf die mittlerweile korrigierte Datierung des Privilegs für Angilberga (vgl. n. 271) zurückgehen und ist nicht zu übernehmen. Die Datierung Mansis kann lediglich dahingehend eingegrenzt werden, daß Johannes VIII. spätestens am 24. August in Pavia eintraf (vgl. n. 278), also wenigstens einige Tage zuvor aus Ravenna abgereist sein muß, vgl. n. 277. Das Konzil dürfte daher von Anfang bis Mitte August getagt haben, zumal nach dem Ende der Synode und vor der Abreise des Papstes aus Ravenna noch die Exkommunikation der Suffragane von Grado einzuordnen ist, vgl. n. 276.

Nachträge

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Empfohlene Zitierweise

RI I,4,3 n. 272, in: Regesta Imperii Online,
URI: http://www.regesta-imperii.de/id/b2d7511f-87df-4ba7-b41e-16f9c0b7b4a2
(Abgerufen am 16.04.2024).