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RI I Karolinger 715-918 (926/962) - RI I,4,2

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Papst Nikolaus (I.) berichtet allen Bischöfen und Fürsten der Gallia (Galliarum episcopis universis et principibus sempiternam ... salutem) über die Sorge König Karls (des Kahlen) um das Kloster Saint-Calais (de monasterio sancti Karilefi confessoris, quod est in pago Cinnomannico constructum super fluvium Anisola, in quo ... beatus confessor Christi Karilefus in eo corpore quievit), welches das Recht auf freie Besitzverfügung und Abtswahl (... libertatis privilegium et in rerum suarum dispositione et in abbatis de semetipsis electione) besaß, bestimmt für Abt und Mönchsgemeinschaft aufgrund des durch Bischof Odo von Beauvais überbrachten Bittbriefes (n. 613) die Freiheit des Besitzes von Bischof Rotbert von Le Mans und dessen Nachfolgern, verbietet Übergriffe des Bischofs oder anderer geistlicher oder weltlicher Personen, erlaubt den Besuch des Bischofs nur auf Einladung des Abtes, erläßt Perturbationsverbot, verweist auf falsche Privilegien sowie auf Verjährungszeiten in weltlichem und kirchlichem Recht und bestätigt die früheren königlichen Privilegien von Chlodwig und Childebert bezüglich Freiheit und freier Abtswahl. Der Papst befiehlt (praecipimus), daß Rotbert keine Macht in Saint-Calais ausüben und keine Abgaben erheben dürfe, jedoch auf Wunsch des Abtes Ordinationen und Konsekrationen sowie das Chrisma gewähren solle; er verbietet simonistische Abtswahlen, untersagt die Absetzung des Gewählten außer wegen krimineller Vergehen und bestimmt im Fall von Infamie ein Verfahren vor sechs königlich festgelegten bischöflichen Richtern, darunter dem Bischof von Le Mans, gestattet den Mönchen gegebenenfalls die Appellation an den Erzbischof von Tours, sonst an den Papst.

Incipit:
Regum corda divinitus inspirata quando ...
Empfänger:
Bischöfe und Fürsten der Gallia

Überlieferung/Literatur

Orig.: –.

Kop.: Ende 9. Jh., Paris Bibl. nat.: Ms. lat. 1557 fol. 37v-39r; 16. Jh., Rom Bibl. Vallicelliana: C 15 fol. 168r-171r; 17. Jh., Paris Bibl. nat.: Ms. lat. 3859A fol. 96r-99v.

Insert: Coll. Sinemuriensis (Ende 11./Anf. 12. Jh., Semur-en-Auxois Bibl. mun.: Ms. 13 fol. 62v-63r) (fragm.). Drucke: Carafa, Epist. III 224; Sirmond, Conc. Gall. III 223; Conc. coll. reg. XXII 352; Labbe-Cossart, Conc. VIII 459; Hardouin, Acta Conc. V 298; Cocquelines-Mainardi, Bull. Rom. I 196; Mansi, Coll. XV 346; Tomassetti, Bull. Rom. I 315; Migne, PL CXIX 846; Froger, Cartulaire Saint-Calais 44; MG Epist. VI 680-683 n. 159.

Reg.: Bréquigny, Table I 267; J 2064; JE 2735.

Lit.: Havet, Chartes Saint-Calais 111 und 113; Lesne, Nicolas Ier et les libertés 284-306; Perels, Nikolaus zwischen Le Mans und St. Calais 152-162; Hirsch, Untersuchungen 365; Goffart, Privilege St. Calais 289-307; Boshof, Traditio Romana 9f.; Bishop, Nicholas 187 Anm. 1; Hartmann, Fälschungsverdacht 117; Boshof, Odo 49 Anm. 59.

Kommentar

Zu den Hss. vgl. insbesondere Perels 160f., weiterhin Perels, Briefe I 550-556 und 565-569 sowie zuletzt Jasper, Beginning 112-114. Die im Druck von Froger noch verwendete Überlieferung aus dem Chartular von Saint-Calais von 1709 (aus Privatbesitz) scheint nicht mehr zu existieren, vgl. Lot-Tessier, Recueil I 336 (Vorbemerkung zur Urkunde Karls des Kahlen n. 127). Zur Coll. Sinemuriensis vgl. Kéry, Canonical collections 203f. und Fowler-Magerl, Clavis Canonum 104-110. Zu den erwähnten Privilegien Chlodwigs und Childeberts vgl. MG DD Mer. 1 n. 78. Die Echtheit des vorliegenden Stückes – das ja nicht als Privileg an die Mönchsgemeinschaft gerichtet ist, aber teilweise einem solchen ähnelt oder ein solches weiteres Schriftstück voraussetzt – wurde kontrovers diskutiert, vor allem weil verschiedene Elemente wie die Nennung Odos oder die Erwähnung von Falsifikaten, die sich wohl auf die allerdings nicht ausdrücklich genannte Synode von Verberie bezieht, nur schwer in Einklang zu bringen sind. Nachdem Lesne große Textabhängigkeiten von n. 623 nachgewiesen hatte, nahm er eine Fälschung kurz nach dem Entscheid von Verberie (n. 669) unter Benutzung der Corbie-Urkunde (n. 623) an. Dabei ist jedoch eine echte Grundlage vom April 863 wegen der Erwähnung Odos und dessen Gesandtschaft zu dieser Zeit nicht völlig auszuschließen. Perels, der für einige Stellen eine größere Verwandtschaft mit n. 374 als mit n. 623 feststellte, bestätigte den Befund Lesnes zwar im wesentlichen, kam jedoch zu der Schlußfolgerung, nach der Versammlung von Pîtres/Soissons 862 habe man ein Privileg als Empfängerausfertigung hergestellt, die Odo von Beauvais bei seiner Gesandtschaft nach Rom mitgenommen habe (vgl. n. 620), die dort jedoch nicht akzeptiert worden sei, vgl. auch den schwachen Hinweis in n. 659 sowie n. 613 zum nicht erhaltenen Bittbrief der Mönche. In Auseinandersetzung mit Perels hat Goffart die Urkunde erneut untersucht und tritt für eine weitgehende Echtheit ein. Goffart nimmt neben einer ersten Ausfertigung am 28. April 863 eine neue Mundierung nach der Synode von Verberie im Spätherbst 863 an, womit die verschiedenen Unstimmigkeiten des Textes erklärt werden könnten. Seine Theorie ist nicht auf volle Zustimmung gestoßen, vgl. Boshof, der ähnlich wie Lesne entweder nach der Synode von Verberie eine verfälschte Fassung auf der Grundlage eines echten Privilegs oder eine vollkommene Neufälschung mit Hilfe von n. 623 annimmt; weitgehend zustimmend zu Goffart allerdings Nelson, Kingship, Law and Liturgy 276f. Anm. 3 mit Hinweis auf die Sanctio und das „Autuner Formular" (vgl. bereits Lesne 301f.). Hartmann läßt den Streit zwischen Lesne und Perels offen. Das Stück hat seinerseits wiederum dazu gedient, die Fälschung n. † 683 herzustellen, die allgemeine Bestimmungen zur Klosterfreiheit formuliert. Vgl. weiterhin Fuhrmann, Pseudoisidor. Fälschungen II 254 Anm. 43 zum möglichen Zusammenhang mit den pseudoisidorischen Fälschungen, hierzu jedoch inzwischen allgemein Zechiel-Eckes, Blick in Pseudoisidors Werkstatt bes. 58-60. Jedenfalls fallen im Text die starke inhaltliche Fixierung auf prozeßrechtliche Fragen und die mehrfachen Wiederholungen auf. Insgesamt reichen die Argumente für einen stichhaltigen Fälschungsnachweis trotz mehrerer Verdachtsmomente jedoch nicht aus, so daß nur große Zweifel bleiben. Allgemein zum Streit von 863 zwischen Le Mans und Saint-Calais im Zusammenhang mit den Le Mans Fälschungen vgl. Goffart, Le Mans Forgeries 78-84 und 137-142 sowie die Kritik von Straeten, Hagiographie du Mans, besonders 490-501 (hierzu erneut Goffart, Literary Adventures 54-62). Die hier angesetzte Datierung greift die Vorschläge der Forschung auf, die eine Ausfertigung nach der Synode von Verberie wahrscheinlich gemacht haben.

Nachträge

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Empfohlene Zitierweise

RI I,4,2 n. †(?)682, in: Regesta Imperii Online,
URI: http://www.regesta-imperii.de/id/a9c7e67e-f484-429f-9c0c-390a312eaa80
(Abgerufen am 28.03.2024).