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[RI XIII] Friedrich III. (1440-1493) - [RI XIII] H. 1

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K. F. bekundet, daß vor seinem Kammergericht unter dem Vorsitz des Gf. Johann von Nassau am 6. August Jörg Ehinger, Lehrer der Rechte, kaiserlicher Rat und Fiskalkammerprokurator, erschien, eine kaiserliche Ladung verlas1 und dann über die Unordnung zu Memmingen folgende Klage erhob: 1) In Memmingen gäbe es einen Bürgermeister, zwölf Ratgeben und zwölf Zunftmeister, die gemeinsam die Stadt regieren; doch werde dem Bürgermeister, obwohl er stets bestens informiert sei, das Stimmrecht im Rat abgesprochen; es solle nun dem Bürgermeister das Stimmrecht eingeräumt werden. 2) Obwohl in der Goldenen Bulle Karls IV. alle Konspirationen verboten wurden2, gäbe es besondere Ratsversammlungen der Zunftmeister, ohne darüber Bürgermeister und Rat zu informieren; mit Hilfe entsprechender Vorverhandlungen könne dann von den Zunftmeistern im Rat eine Mehrheit erreicht werden; dabei werden nicht nur Angelegenheiten der Handwerker, sondern alle städtischen Fragen entschieden; auf diese Weise werden die Große Zunft und die ehrbaren Geschlechter unterdrückt. 3) Die Zunftmeister hemmen die Tätigkeit des Stadtrates und versuchen, alles schon in ihren Ratsversammlungen zu entscheiden, obwohl dieses Vorgehen der Goldenen Bulle Karls IV. widerspricht3. 4) Die Beschlüsse des Rates der Zünfte werden erst zum günstigsten Zeitpunkt im städtischen Rat vorgebracht. 5) Die Zunftmeister bringen alle Botschaften unter ihre Kontrolle und lassen diese Botschaften durch ungeeignete Personen ausführen. 6) Es war Brauch, daß ein Bürgermeister bei Krankheit oder Abwesenheit das Sekretsiegel einem älteren Bürgermeister oder einem von den Geschlechtern aus seiner Zunft übergab. Nun muß es aber den Zunftmeistern übergeben werden, die es an dritte und sogar leichtfertige Personen weiterreichen. 7) Es gab zu Memmingen die schlechte Gewohnheit, alljährlich 800 Pfund Haller in den Zünften zu vertrinken; dieser Mißbrauch wurde durch ein Gesetz abgestellt; doch jetzt haben die Zunftmeister wieder erreicht, daß jeder alljährlich ein Pfund Haller entgegen dem Eid erhält. 8) Die Zunftmeister hätten durch Wahlpraktiken erreicht, daß die alte Gewohnheit, den Bürgermeister aus den Geschlechtern zu wählen, schon dreimal umgangen wurde; außerdem werde der Bürgermeister, wenn er nicht dem Willen der Zunftmeister folge, entfernt. 9) Die Zunftmeister verhindern eine ordentliche Wahl der Zunftmeister selbst und erreichen durch Machenschaften, daß immer nur ihnen genehme Personen Zunftmeister werden. 10) Es sollten mehr Ratgeben als Zunftmeister sein, damit die Ehrbaren von den Geschlechtern nicht unterdrückt werden können. 11) Es gäbe zu Memmingen die Verordnung, daß nahe Verwandte, wenn diese nahe Verwandtschaft auch ein Ehehindernis ist, nicht gemeinsam im Rat sein können, doch gäbe es diese Vorschrift zu Ulm und in anderen Reichsstädten nicht. 12) Jede Zunft hätte ihr eigenes Gericht, doch die Große Zunft, in der die ehrbaren Geschlechter sind, hätte keines, weshalb diese beeinträchtigt werden. 13) Streitigkeiten der Zünfte untereinander entscheiden die Zunftmeister, ohne Bürgermeister und Ratgeben beizuziehen; deshalb entstünden Aufruhr und Widerwärtigkeit. 14) Es gäbe die Neuerung, daß jeder, der nicht eine hanntierung betreibe, die in eine Zunft gehört, selbst entscheiden könne, ob er in die Große Zunft oder eine andere Zunft kommen wolle; damit werde den ehrbaren Geschlechtern ihr altes Herkommen genommen, da diese sogar Dienstknechte in ihre Zunft aufnehmen müßten. 15) Im Streit, den Ulrich Frey und sieben andere mit der Großen Zunft hatten, wäre erwirkt worden, daß Frey in die Große Zunft aufgenommen werden mußte und sein Recht an Tänzen und Gastmählern behaupten konnte. 16) Das Amt des Einnehmers und das des Ausgebers wurde immer von einem Angehörigen der Großen Zunft ausgeübt; jetzt hätte man andere Personen damit betraut, so daß der Stadt jährlich ein Schaden von sechstausend Pfund Haller entstand. 17) Man habe einen von den Geschlechtern aus der Stadt gewiesen, da er sich im vergangenen Jahr geweigert habe, auf Gebot eines Zunftmeisters dem Mgf. Albrecht von Brandenburg entgegenzureiten - "er habe", so sagte jener, "kein Roß, man solle ihm einen Zunftmeister satteln, auf dem wolle er hinausreiten"; dagegen werden Beleidigungen gegenüber Bürgermeister und Rat verschwiegen und bleiben ungestraft. 18) Man nehme zu Memmingen auch entgegen den Vorschriften, zur Zeit Kaiser Heinrichs zu Eger erlassen, Pfahlbürger auf und komme deshalb in die Pön4. 19) Leibeigene von Adel und Gotteshäusern werden entgegen den Bestimmungen der Goldenen Bulle als Bürger aufgenommen5. 20) Obwohl der Kaiser selbst bei einer Pön von hundert Mark Goldes befohlen hatte, Frieden zu halten6, wären alle von den Geschlechtern aus dem Rat entfernt worden mit Ausnahme des Zunftmeisters der Großen Zunft, der außerdem schändlich behandelt worden wäre; deshalb sei Memmingen der Pön verfallen. Darauf ließen die Anwälte der Stadt Memmingen Hanns Span und Ulrich Zehender ihre Vollmacht verlesen und antworteten auf die Punkte: 1) Bei Stimmengleichheit hätte der Bürgermeister das Recht, mit seiner Stimme eine Mehrheit herzustellen. 2) Die Zunftmeister seien immer öffentlich im offenen Rathaus zusammengekommen. 3) Die Zunftmeister hielten immer in allen Sachen Bürgermeister und Rat auf dem laufenden. 4) Die Zünfte berichten stets dem Bürgermeister. 5) Die Zunftmeister hätten das Recht, ihre Botschafter auszuwählen, doch gestehen die beiden Anwälte selbst ihre Unzulänglichkeit, hoffen aber doch, für ehrbare Männer gelten zu dürfen. 6) Es wird auf die Bürgermeisterwahl hingewiesen, aber eingestanden, daß es vorkommen könne, der Bürgermeister gebe das Sekretsiegel leichtfertig aus der Hand. 7) Die Zunftmeister hätten eine Zeit lang auf die zwölf Pfund Haller für das Trinken verzichtet, doch sei ihnen dann dieser Betrag wieder gegeben worden, ohne daß sie darum gebeten hätten. 8) Es wird die Wahl des Bürgermeisters für ein Jahr und die des Stadtammans für zwei Jahre ausführlich beschrieben und betont, daß diese Wahlen korrekt abgehalten worden seien. 9) Es werden nochmals umständlich die Wahlen der Zunftmeister beschrieben. 10) Es sei üblich, daß sich der Rat aus Bürgermeister, Stadtschreiber, zwölf Ratgeben und zwölf Zunftmeistern zusammensetze. Doch werden für wichtige Angelegenheiten auch größere Gremien einberufen. 11) Es sei zu Memmingen seit langer Zeit üblich, daß nahe Verwandte nicht zusammen im Rat sein sollen. 12) Die Große Zunft dürfe durchaus ihr Gericht halten. 13) Die Zunftmeister entschieden stets im Auftrag des Bürgermeisters. 14) Das Vorgehen sei durch zwanzig Jahre mit Einverständnis der Großen Zunft erfolgt, die erst seit drei Jahren ihren Unwillen äußert. 15) Der Streit der Großen Zunft mit Ulrich Frey und den sieben anderen sei vom Rat mit Einverständnis der Parteien geschlichtet worden. 16) Es sei üblich, als Einnehmer oder Ausgeber den allerschicklichsten zu wählen. 17) Man habe den aus den Geschlechtern ausgewiesen, da es unziemlich ist, auf einem Menschen zu reiten; außerdem sei der Befehl, dem Mgf. entgegenzureiten, vom Rat erteilt worden. 18) Man wisse nichts, daß Pfahlbürger aufgenommen worden seien. 19) Darüber sei nichts bekannt; man bitte in dieser Angelegenheit um Aufschub. 20) Man habe das kaiserliche Gebot durchaus beachtet, habe aber zu St. Georg, wie es dem alten Herkommen entspricht, die neuen Inhaber der städtischen Ämter gewählt. Dagegen faßte Ehinger nochmals seine Klage zusammen, daß die Große Zunft ausgeschaltet werde, die von den Geschlechtern in ihren Rechten geschmälert werden und daß dadurch Unordnung entstehe und die Stadt dadurch geschädigt werde; dagegen sollen gute Ordnung und Gesetze gemacht werden und die ehrbaren Geschlechter wieder eingesetzt werden. Dagegen wandten die Anwälte der Stadt nochmals ein, daß die ehrbaren Geschlechter nicht Personen von besonderer Geburt seien wie Fürsten, Grafen, Herren oder Edelleute, sondern Kaufleute ohne besondere Freiheiten; die Große Zunft habe auch nicht mehr Freiheit als jede andere Zunft, sondern nur das Vorrecht, drei Tage in der Fastnacht auf dem Rathaus zu tanzen und dazu die Stadtpfeifer spielen zu lassen. Auch hätte man immer entsprechend dem alten Herkommen gehandelt. Daraufhin entschied Gf. Johann von Nassau, daß geschehen solle, was recht ist7.

Originaldatierung:
Am dreytzehenden tag des monads augusti.
Kanzleivermerke:
KVr: A.m.p.d.i. - KVv (letzte Seite): Fiscalis contra Memmingen (A); Memmingen contra fiscal urtelbrief, Jodocus Kaps (B).

Überlieferung/Literatur

Org. (zweifach) in BayHStA (Sign. RU Memmingen n. 394), Perg., einmal S 18 (ohne Sekretsiegel) an purpurner Ss. (Libell, fol. 2r-7v beschrieben) (A) (mit Randbemerkungen); einmal S 18 mit wachsfarbenem S 16 an purpurner Ss. (Libell, fol. 2r-8r beschrieben) (B).

Anmerkungen

  1. 1Es dürfte hier auf den Brief v. 1471 März 12 - vgl. oben H. 1 n. 89 - verwiesen sein.
  2. 2MGH Font. iur Germ. ant., in us. schol. 11, bearb. v. W. D. Fritz, cap. 15.
  3. 3Hier ist wohl abermals auf das cap. 15 der Goldenen Bulle - vgl. oben Anm. 2 - verwiesen.
  4. 4Es überrascht, daß hier nicht abermals die Goldene Bulle - diesmal cap. 16 - zitiert wird. Es ist nicht ganz klar, auf welches Dokument verwiesen ist. Am ehesten wäre an den Landfrieden Heinrichs VII. v. 1310 August 19 zu denken (MGH Const. 4/1, n. 409), doch ist dieses Dokument nicht zu Eger erlassen worden.
  5. 5Wohl ein weiterer Hinweis auf cap. 15 der Goldenen Bulle; vgl. oben Anm. 2.
  6. 6Vgl. oben die Urkunde v. 1471 März 12 (H. 1 n. 90).
  7. 7Vgl. dazu auch unten das spätere Urteil v. 1473 Januar 2, beurkundet 1473 Februar 23 (H. 1 n. 99).

Nachträge

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Empfohlene Zitierweise

[RI XIII] H. 1 n. 96, in: Regesta Imperii Online,
URI: http://www.regesta-imperii.de/id/1471-08-13_1_0_13_1_0_9068_96
(Abgerufen am 18.04.2024).