Regestendatenbank - 201.916 Regesten im Volltext

RI IV Lothar III. und ältere Staufer (1125-1197) - RI IV,1,2

Sie sehen den Datensatz 492 von insgesamt 793.

Feldzug gegen die ostelbischen Slaen („Wendenkreuzzug“). Gemäß dem auf dem Frankfurter Reichstag gefaßten Beschluß, einen Kriegszug zur Bekämpfung der heidnischen ostelbischen Slawen und zu ihrer Christianisierung zu unternehmen (siehe Reg. 446), überschreitet das in zwei Abteilungen geteilte Kreuzfahrerheer die Elbe und dringt in von heidnischen Slawen beherrschtes Gebiet vor. Auch ein Bruder des Herzogs von Polen beteiligt sich mit angeblich 20.000 Kriegern an dem Unternehmen. Der nördliche, angeblich 40.000 Mann starke Heeresteil, dem Erzbischof Albero von Bremen, Bischof Thietmar von Verden, Herzog Heinrich von Sachsen, Herzog Konrad von Zähringen, der Bremer Dompropst Hartwig von Stade (Hartwigus princeps prenobilis) und zahlreiche Grafen und Edle angehören, belagert mit Unterstützung dänischer Verbände, die von den kurzzeitig miteinander versöhnten Thronprätendenten Sven und Knut befehligt werden, den vom Abodritenfürsten Niklot kurz zuvor befestigten Ort Dobin. Die Belagerer erleiden durch einen Ausfall der Belagerten und einen gemeinsam mit den von Rügen zu deren Unterstützung herangesegelten Ranen durchgeführten Überfall auf die dänische Flotte schwere Verluste. Das Heer will dafür Rache nehmen, aber Gefolgsleute (satellites) Herzog Heinrichs, die sich – wie beim anderen Heer solche Markgraf Albrechts von Brandenburg – fragen, ob sie nicht ihr eigenes Land verheeren, ihr eigenes Volk bekämpfen und auf diese Weise ihren eigenen Angelegenheiten – und damit auch denen ihrer Herren – schadeten, beginnen, den Erfolg des Unternehmens zu hintertreiben, so daß die dessen überdrüssigen Kreuzfahrer sich zu einem Abkommen verstehen, das die Annahme des christlichen Glaubens und die Auslieferung der dänischen Gefangenen vorsieht, das von den Slawen (durch Scheintaufen) aber nur mangelhaft eingehalten wird. – Der andere, angeblich 60.000 Mann zählende Heeresteil, dem u.a. angehören: Erzbischof Friedrich von Magdeburg, die Bischöfe Rudolf von Halberstadt, Werner von Münster, Reinhard von Merseburg, Wigger von Brandenburg, Heinrich (Zdík) von Olmütz und Anselm von Havelberg (der päpstliche Kreuzzugslegat), Abt Wibald von Stablo und Corvey, der hofft, für Corvey (angeblich) von Kaiser Lothar I. verliehene Ländereien auf der Insel Rügen wieder in Besitz nehmen zu können, Markgraf Albrecht von Brandenburg mit seinen Söhnen Otto und Hermann, Markgraf Konrad von Meißen, Pfalzgraf Friedrich von Sachsen (von Sommerschenburg) und Pfalzgraf bei Rhein Hermann von Stahleck, zieht über Havelberg und Malchow, wo eine heidnische Kultstätte zerstört wird, vor Demmin (an der Peene), das (offenbar erfolglos) belagert wird. Das durchquerte Land wird verwüstet und viele Siedlungen werden niedergebrannt. Als etliche Ritter über die Verteilung des letztlich gar nicht eroberten Landes zu streiten beginnen, womit die einfachen Krieger nicht einverstanden sind, kommt es zu Unruhen und Unordnung im Heer, das schließlich ohne Erreichen seiner Ziele auseinandergeht. In Stettin (wohin vermutlich ein anderer Teil des Heeres gezogen ist) richten die Einwohner bei der Ankunft der Kreuzfahrer auf den Mauern Kreuze auf und schicken Gesandte mit dem von Bischof Otto von Bamberg eingesetzten Pommernbischof Adalbert zu den Belagerern, fragen sie nach dem Grund ihres Kommens und halten ihnen vor, daß sie, wenn es ihnen um die Sicherung des Christenglaubens gehe, dies nicht mit Waffengewalt, sondern durch die Predigt der Bischöfe ausführen müßten, und daß es den Sachsen in Wirklichkeit weniger um den Glauben gehe, sondern darum, ihnen ihr Land wegzunehmen. Daraufhin nehmen die sächsischen Bischöfe mit Adalbert und dem Pommernfürsten Ratibor Friedensverhandlungen auf und ziehen nach Entlassung vieler Krieger mit den Fürsten ab.

Überlieferung/Literatur

Ann. Magdeburgenses, MGH SS 16 188f.; Ann. Palidenses, MGH SS 16 82; Ann. Rodenses, MGH SS 16 718; Ann. S. Iacobi Leodiensis, MGH SS 16 641; Vincentii Pragensis Ann., MGH SS 17 663; Ann. Bohemorum Vincentii Pragensis, FRB 2 417; Chronik Petershausen L. V, c. 32 228; Chron. Montis Sereni, MGH SS 23 147; Helmold von Bosau, Cron. Slavorum I c. 62–64, MGH SSrerGerm 32 118–122; Otto von Freising, Gesta Friderici I 47, MGH SSrerGerm 46 65; Sigeberti Gemblacensis chron. Cont. Gemblacensis, MGH SS 6 392; Saxo Grammaticus, Gesta Danorum 376f.; Briefe Wibalds von Stablo an den Konvent von Stablo, Epp. Wibaldi Nr. 58 = MGH Nr. 30, und an Bischof Bernhard von Hildesheim, Epp. Wibaldi Nr. 150 = MGH Nr. 124; Urkunde Erzbischof Wichmanns von Magdeburg von 1157, UB Magdeburg 1 Nr. 294.

Kommentar

Zum Verlauf des „Wendenkreuzzugs“ vgl. neben Bernhardi, Konrad III. 563–578, u.a.: Brüske, Untersuchungen 107–112; Rüdebusch, Anteil Niedersachsens 11–15; Kahl, Ergebnis 275–316; Skyum-Niels, Kvinde og Slave 139f.; Lotter, Crusading idea 292ff. – Berechtigte Kritik am Terminus „Wendenkreuzzug“ übt Kahl, Auszujäten 134ff. – Der Beginn des Vorstoßes ins Slawenland ist unsicher. Die Ann. Magdeburgenses sprechen von circa festum S. Petri, was Bernhardi, Konrad III. 570 als 1. August deutet (Petri Kettenfeier); hingegen meint Schultze, Wendenkreuzzug 62, daß der schon im Sendschreiben Bernhards von Clairvaux (siehe Reg. 446) genannte Termin 29. Juni, also das Fest Peter und Paul gemeint sei. Auch wenn vom Text her eher der ersteren Lösung der Vorzug zu geben ist, erscheint Schultzes Lösung doch plausibler, weil Wibald von Stablo, der an der Belagerung Demmins teilnahm, nach eigener Aussage am 8. September schon wieder in Corvey war und daher ab 1. Au- gust schwerlich eine Zeitlang vor Demmin gelegen und die Strecke dorthin und zurück sowie von der Elbe bis Corvey zurückgelegt haben kann. – Zur Teilnahme eines polnischen Heeres siehe Myslinski, Sprawa udzialu Polskiej w Niemieckiej 357–376, der (wenig überzeugend) versucht, sie als Aktion zur Verteidigung der Slawen umzudeuten, und Zientara, Stosunki 548f., der sie als Strafexpedition zur Wiederherstellung der 1146 abgeschüttelten polnischen Oberhoheit sieht. Derwich, Sachsen und Polen 138, bezeichnet das Kriegsziel der Polen als unsicher. Petersohn, Ostseeraum 343 Anm. 5, weist demgegenüber darauf hin, daß nicht bekannt ist, wo die Polen aktiv wurden, und rechnet eher damit, „daß Polens Teilnahme an dem Kreuzzugsunternehmen dem Anwachsen des sächsischen Einflusses am Odermündungsgebiet vorbeugen sollte“; ebenso lehnt er die von Kahl, Slawen und Deutsche 188, überlegte Absicht einer Teilung Pommerns entlang der Oder ab. – Die in der älteren Literatur, etwa bei Dvořák, Dějiny Moravy 76, und Bretholz, Geschichte Böhmens und Mährens 249, verzeichnete Teilnahme eines Otto von Mähren mit seinen Brüdern Svatopluk und Vratislav am Kreuzzug ist als Fiktion des 19. Jahrhundert widerlegt, vgl. Wihoda, Patnáct minut slávy. – Wenn Konrads Schwager, der rheinische Pfalzgraf Hermann von Stahleck, auf Konrads Veranlassung hin an dem Feldzug teilnahm, wie Bünding-Naujoks, Imperium Christianum 103, vermutet, könnte man ihn als den Vertrauensmann des Königs im Heer betrachten. – Der Ausgang der Belagerung von Demmin ist zwar nirgends überliefert, was aber ebenso wie das negative Urteil Wibalds von Stablo über das ganze Unternehmen (… non efficaciter set tamen obedienter complevimus) für ein Scheitern spricht. Auffällig ist, daß die Ereignisse vor Stettin nur (und recht einseitig) von Vinzenz von Prag geschildert werden, der dafür die Belagerung Demmins nicht erwähnt. – Wie die dem Kreuzzugsaufruf Bernhards von Clairvaux und dem Kreuzzugsentschluß auf dem Frankfurter Reichstag zugrundeliegenden Motive (siehe ausführlich im Kommentar zu Reg. 446) sind auch die aus dem Verlauf des Unternehmens zu erschließenden konkreten Ziele seiner Teilnehmer und deren Erreichen oder Nichterreichen seitens der Forschung sehr unterschiedlich bewertet worden. Einigkeit besteht, daß das – bei der Beschlußfassung über den „Wendenkreuzzug“ in Frankfurt und auch im Aufruf Bernhards von Clairvaux freilich auch nicht im Vordergrund stehende (siehe Reg. 446) und erst in der Kreuzzugsbulle Papst Eugens III. (siehe Reg. 459) als Hauptzweck definierte – Ziel der Bekehrung der Slawen nicht erreicht wurde und die wichtigsten militärischen Operationen scheiterten bzw. auf sie verzichtet wurde. Daß es den sächsischen Adeligen auch gar nicht so sehr um die Bekehrung der Heiden als um Landerwerb und finanziellen Gewinn ging, wurde allerdings schon von den wenig später schreibenden Autoren Helmold von Bosau, Vinzenz von Prag und dem Annalisten von Pöhlde beklagt. Daß das Unternehmen in dieser Hinsicht kein gänzlicher Mißerfolg war, zeigen die damals eingeleiteten ersten Herrschaftsbildungen deutscher Adeliger im ostelbischen Gebiet, die von Schultze, Wendenkreuzzug passim, und Fritze, Vordringen 81–154, rekonstruiert wurden. Auch die von Engels, Mission und Friede 213ff., vermutete Strategie der offensiven Grenzverteidigung mit Sicherung der gewohnten Tributhoheit über die heidnischen Nachbarn dürfte aufgegangen sein, wie Gaethke, Heinrich der Löwe 104f., anhand von Nachrichten aus den folgenden Jahren belegen kann. Daß die Masse des Heeres die eigennützigen Intentionen vieler Herren nicht teilte, hat vor allem Lotter, Konzeption 70ff., aufgrund von Aussagen Helmolds und des Pöhlder Annalisten herausgearbeitet; beide erheben Vorwürfe nur gegen Gefolgsleute der Fürsten, einzig Vinzenz von Prag beschuldigt zwei von diesen, nämlich Markgraf Albrecht und Bischof Anselm von Havelberg, der Verfolgung eigener territorialpolitischer Ziele. Aufgrund der eigenartigen geographischen Zielrichtung der Operationen, bei denen nach der Besetzung Havelbergs unter Beiseitelassung der heidnischen Gebiete in Brandenburg und dem Havelland mit Demmin und Stettin zwei Orte im teilweise christianisierten Pommern zum Ziel erkoren wurden, wurde Vinzenz´ Aussage u.a. von Bernhardi, Konrad III. 576f.; Schultze, Wendenkreuzzug 111ff.; Kahl, Ergebnis 302f. bzw. 311f. und Kahl, Slawen und Deutsche 186ff.; Schlesinger, Havelberg 31f.; Engel, Eroberung 327, Glauben geschenkt. Hinsichtlich des Unternehmens gegen Stettin meint Petersohn, Ostseeraum 344ff., allerdings, daß nicht Anselm von Havelberg, dessen Diözesansprengel durch das 1140 von Innocenz II. anerkannte Pommersche Bistum ebenso wie jener Wiggers von Brandenburg verletzt wurde, sondern Erzbischof Friedrich von Magdeburg – dem Claude, Magdeburg 2 62f., keinen wesentlichen Anteil am Wendenkreuzzug zubilligt – „spiritus rector et anima movens“ des Unternehmens war, dem es darum ging, durch eine bewaffnete Intervention die Metropolitanzugehörigkeit der jungen pommerschen Kirche zu Magdeburg sicherzustellen. Wohl zu Recht verweist Gaethke, Heinrich der Löwe 102f., aber darauf, daß auch Markgraf Albrecht „an einer eindrucksvollen Machtdemonstration an der unteren Oder sehr gelegen sein mußte, half sie doch, seine Ansprüche auf den Peeneraum abzusichern“. Für den Abbruch der Belagerungen von Dobin und Demmin und somit den Verzicht auf einen vollständigen Sieg über die slawischen Gegner war Gaethke, Heinrich der Löwe 98ff., zufolge die Erkenntnis Herzog Heinrichs und Markgraf Albrechts verantwortlich, daß in Anwesenheit vieler anderer großer Herrschaftsträger (wie des Bremer Erzbischofs, der Dänen etc.), die ebenfalls Herrschaftstitel oder -ansprüche im obodritisch-liutitzisch-pommeranischen Raum vorweisen konnten, das Ziel der unwiderruflichen Einbeziehung dieses Raumes in ihren jeweiligen Machtbereich nicht zu verwirklichen war, und daß unter Umständen die ihren Interessen zuwiderlaufende Ausbildung unabhängiger Herrschaften westelbischer Edelherren, wie sie vereinzelt tatsächlich erfolgt ist, drohte.

Nachträge

Nachtrag einreichen
Einreichen
Empfohlene Zitierweise

RI IV,1,2 n. 489, in: Regesta Imperii Online,
URI: http://www.regesta-imperii.de/id/1147-06-29_1_0_4_1_2_491_489
(Abgerufen am 19.04.2024).