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RI IV Lothar III. und ältere Staufer (1125-1197) - RI IV,1,1

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Lothar bestätigt auf Intervention der Königin Richenza kraft königlicher Gewalt (regalis auctoritas) die von der Äbtissin Liutgard von Gandersheim nach entsprechenden Beratungen mit ihm und verschiedenen Religiosen (communicato nobiscum aliisque religiosis consilio) vollzogene Unterstellung der Klöster Brunshausen und Clus unter die Leitung eines gemeinsamen Abtes und dessen freie Wahl entsprechend der Regel des hl. Benedikt durch die Mönche beider Klöster, ferner die Präsentation des Elekten an die Äbtissin und die Kanonissen, dessen Selbstinvestitur, die durch Aufnahme der Virga pastoralis vom Hochaltar der Gandersheimer Stiftskirche erfolgen soll (virgam pastoralem de altari sanctorum Iohannis baptistę, Anastasii et Innocentii suscipiat), sowie die Pflicht, der Äbtissin mit Rat zu helfen und bei der Meßfeier an Hochfesten und beim Krankenbesuch Unterstützung zu leihen. Er bestätigt ferner dem Kloster Clus die Übereignung der drei Hufen in †Nordliudolfshausen (Liudolueshem) mit ihren Zehnten durch die verstorbene Äbtissin Bertha und die Schenkungen der jetzigen und aller früheren Gandersheimer Äbtissinnen an die beiden Klöster. Z.: die Kapelläne Propst Bennico von St. Blasien, Propst Ekkehard von Einbeck, Bertolf, Ludolf, Bruno (Bennecone preposito de sancto Blasio, Eguuardo preposito de Enbeka, Bertolfo, Liudolfo, Brunone capellanis), Graf Siegfried und Graf Hermann, Ludolf von Wöltingerode und andere Fürsten des Reiches (aliisque multis regni principibus), die Ministerialen Vogt Ludolf, Kämmerer Anno und Bertolf von Peine (Annone cubiculario, Bertolfo de Pames). - Rekognition fehlt; VUU.: Äbtissin Bertha von Gandersheim von 1127 (Harenberg, Historia ecclesiae Gandershemensis S. 704) (VU. I), DLo.III. 18 (Reg. 185) (VU. II) und möglicherweise die Urkunde Bischof Bernhards von Hildesheim von angeblich 1134 (Janicke, UB Hildesheim 1 S. 190 Nr. 208) (VU. III). Sciens scriptum esse.

Originaldatierung:
(VIII. kl. februarii, Goslari[ę])

Überlieferung/Literatur

Fälschung (Entwurf); Kop.: Niedersächsisches Staatsarchiv Wolfenbüttel, 10/11 Urk 3 (A). Drucke: Iohannes Georgius Leuckfeld, Antiquitates Gandersheimenses, Wolffenbüttel 1709 S. 166 Anm. s. Johann Christoph Harenberg, Historia ecclesiae Gandershemensis, Hannoverae 1734 S. 170 Anm. d. DLo.III. 59. Reg.: H. Goetting, Die Gründung des Benediktinerklosters Clus, in: Braunschweigisches Jahrbuch 40 (1959) S. 20 Nr. 4. Stumpf 3290.

Kommentar

Das Diplom ist in Buchschrift des 12. Jh. auf der Rückseite der zweiten, in Wolfenbüttel verwahrten Ausfertigung der Urkunde Bischof Bernhards von Hildesheim von angeblich 1134 über die Vereinigung der Klöster Brunshausen und Clus (VU. III) überliefert; der Schreiber ist nicht mit demjenigen des Kontextes der Wolfenbütteler Urkunde des Bischofs identisch, vgl. HIRSCH/ OTTENTHAL, DLo.III. 59, Vorbemerkung, aber gleichhändig mit der Zeugenliste dieser Ausfertigung. (Die Angaben von JANICKE im textkritischen Apparat zur Edition der Urkunde Bischof Bernhards verwechseln die Ausfertigungen A [= ehedem Staatsarchiv Hannover] und B [= Wolfenbüttel]. Das folgt aus der im Wiener Diplomata-Apparat zu DLo.III. 59 verwahrten Mitteilung des hannoverschen Archivleiters Adolf Brenneke vom 18.1.1924: "Es handelt sich in diesen zusammengerückten Schlußzeilen [sc. der hannoverschen Ausfertigung] doch wohl um eine andere Hand, sicher aber um eine zeitlich gleichaltrige Ergänzung. Übrigens sind die Namen, die Janicke in den Noten e und f als in der Ausfertigung B übergeschrieben bezeichnet, jedenfalls auch in unserer Ausfertigung übergeschrieben", sowie aus der Autopsie von B; sie weist keine übergeschriebenen Namen auf.). Nach von Herrn Hans Jakob Schuffels, Göttingen, mitgeteilter Beobachtung muß die Zeugenliste in der Wolfenbütteler Ausfertigung der Bernhard-Urkunde nachgetragen sein; denn sie nennt - nach der auf 1134 lautenden Datierung - als ersten Zeugen Udone preposito post episcopo. Der Propst des Hildesheimer Moritzstiftes Udo wurde 1137 Bischof von Osnabrück, vgl. A. SPICKER-WENDT/ H. KLUGER, in: ST. WEINFURTER/ O. ENGELS, Series episcoporum Ecclesiae Catholicae occidentalis V, 1, 1982 S. 161. Die ungewöhnliche Besiegelung dieser Ausfertigung erfolgte kaum im Jahre 1134; denn auf der Rückseite wurde über einem runden, als Gegenlager angebrachten Pergamentstück das Siegel mittels zweier sich kreuzender Pergamentstreifen befestigt. Da die Schrift der nachgetragenen Zeugenreihe dem Siegel sehr nahe rückt, ohne ihm mit den Wörtern iam dictę abbatię und et familia auszuweichen, ist die Anbringung des Siegels sehr wahrscheinlich erst nach der Nachtragung der Zeugenliste, also frühestens nach 1137, erfolgt. Auch die Besiegelung der VU. I erfolgte kaum im Jahre 1127, vgl. GOETTING, Die Gründung des Benediktinerklosters Clus S. 18 Anm. 5. Ungeklärt ist die Zeitstellung der Niederschrift des Kontextes der Bischofsurkunden. Die "zusammengerückten Schlußzeilen" und die Namensüberschreibungen in A legen nahe, daß vielleicht schon der Schreiber des Kontextes, sicher aber die die Zeugenliste nachtragende Hand wegen Platzmangels in Bedrängnis gerieten. Das könnte den Anlaß für die Niederschrift einer zweiten Ausfertigung (=B) abgegeben haben. Daß die sehr fortgeschrittene Kontexthand von B dem Jahre 1134 angehört, ist eher unwahrscheinlich, bedarf jedoch der näheren Prüfung. Jedenfalls ist die Authentizität des Kontextes der beiden Ausfertigungen der Bernhardurkunde wegen der nachgetragenen Zeugen und der kaum 1134 erfolgten Besiegelung zweifelhaft. - Nach der Beobachtung von Schuffels ist der Schreiber des Lothartextes sowie der in der Bernhardurkunde (B) nachgetragenen Zeugenliste als eine der Haupthände der sogenannten jüngeren Vita Bernwardi (Niedersächs. Hauptstaatsarchiv Hannover, Ms. F 5 S. 81-118) nachweisbar, vgl. die Abbildung von S. 81 bei A. CHROUST, Monumenta Palaeographica. Denkmäler der Schreibkunst des Mittelalters, Serie II Bd. 3 (1911-1917) Lfg. 20 Tf. 10 (= Tf. 440 des Gesamtwerks). Die Niederschrift des Lothartextes rückt damit in einen Zusammenhang mit dieser Redaktion und Niederschrift der Vita Bernwardi. Ferner hat dieser Schreiber noch die undatierte Urkunde Bischof Brunos von Hildesheim für Clus mundiert (Niedersächs. Staatsarchiv Wolfenbüttel 10/11 Urk Nr. 5; JANICKE, UB Hildesheim 1 S. 267 Nr. 282), und zwar in den Jahren 1159 bis 1161; zum Datum vgl. H. GOETTING, Das Benediktiner(innen)kloster Brunshausen. Das Benediktinerinnenkloster St. Marien vor Gandersheim. Das Benediktinerkloster Clus. Das Franziskanerkloster Gandersheim (Germania Sacra NF 8) 1974 S. 203, H. GOETTING, Die Hildesheimer Bischöfe von 815 bis 1221 (1227) (Germania Sacra NF 20) 1984 S. 394f., 398f. Die Wahrscheinlichkeit ist gegeben, daß die Bernhardurkunde in ihren zwei Ausfertigungen oder zumindest deren Vervollständigung durch die Zeugenlisten sowie das Lothardiplom zwecks Erwirkung des Privilegs Coelestins III. von 1192 für Clus (JANICKE, UB Hildesheim 1 S. 462 Nr. 486; JL 16940) vor der wegen der Kanonisation Bischof Bernwards von Abt Dietrich II. von St. Michael zu Hildesheim unternommenen Reise nach Rom - vgl. GOETTING, Hildesheimer Bischöfe S. 449-451 - gefälscht wurden. Über Verbindungen von Clus zu St. Michael vgl. auch GOETTING, Brunshausen-Clus S. 203f. Denn die Bernhardurkunde reguliert die Wahl des Abtes durch den Konvent, seine Präsentation an die Äbtissin von Gandersheim, dessen Selbstinvestitur in der Gandersheimer Stiftskirche, seine Präsentation an einen Bischof zur Weihe und bestätigt die Herrschaft des Abtes auch über das Kloster Brunshausen. Das Privileg Coelestins III. nennt Brunshausen als ersten Besitztitel der Kirche von Clus und präzisiert die von ihm angeführte Bernhardurkunde hinsichtlich der Präsentation des Elekten zur Weihe dahin, daß diese vom Bischof von Hildesheim zu erteilen sei. Das angebliche Lothardiplom stellt die Vereinigung der Herrschaft über Clus und Brunshausen in der Hand desselben Abtes stark heraus, betont dessen Wahl durch beide Konvente, führt die Präsentation an die Äbtissin und die Selbstinvestitur an, verliert aber kein Wort über die Weihe. Einer der Zwecke der Lotharurkunde scheint demnach die Ausschließung der bischöflichen Rechte des Hildesheimer Ordinarius an Clus, also dessen Exemtion, gewesen zu sein; sein Passus deinceps autem utriusque ęcclesię tam interiora quam exteriora absolute disponat (sc. der Abt), liber ab omni subiectionis alicuius exactione vel servicio, muß sich somit nicht nur gegen die Äbtissin von Gandersheim als Cluser Eigenkirchenherrin gerichtet haben, sondern kann auch gegen den Ortsbischof gewendet sein. Dieses weitgehende Programm wurde nicht realisiert; vielmehr mußte sich Clus mit der Bestimmung des Privilegs des Papstes Coelestin zufrieden geben, die den Abt für die Weihe an den Hildesheimer Bischof wies und im übrigen die Rechte des Klosters bestätigte salva sedis apostolice auctoritate et diocesani episcopi canonica iusticia. - Die Niederschrift der Lotharurkunde weist ein - nach dem Vorbild von Reg. 185 für Clus gestaltetes - Monogramm auf, aber keine Hinweise auf eine Besiegelung. Eine Rekognition fehlt; Diktatbeziehungen zum 1134 tätigen Ekkehard A = Bertolf sind nicht feststellbar; nicht einmal die Intitulatio entspricht dessen Fassung. Eine Beteiligung der Kanzlei an einer der Niederschrift möglicherweise zugrunde liegenden Ausfertigung ist deshalb nicht gegeben. Dem Verfasser der Niederschrift standen vielmehr die VUU. I und II und die Urkunde Bischof Bernhards von 1134 zur Verfügung, sofern diese nicht NU. zu unserem Diplom ist oder, was am wahrscheinlichsten ist, Diplom und Bischofsurkunde denselben Diktator zum Urheber haben, vgl. zum Verhältnis der Bischofsurkunde zum Diplom HIRSCH/ OTTENTHAL, DLo.III. 59, Vorbemerkung, und GOETTING, Brunshausen-Clus S. 200f., die allerdings die Echtheit der Bernhardurkunde voraussetzen. - Für ein angeblich im Jahre 1134 gegebenes Diplom ist weiter auffällig das in ihm wiederholt erscheinende regalis oder regni auctoritas, die Bezeichnung Richenzas als regina und das nicht-kaiserliche Monogramm. In das Jahr 1134 passen jedoch der kaiserliche Titel Lothars und nach dessen freilich auch für 1134 nicht sehr dichtem Itinerar das Datum, der Ausstellungsort sowie die Zeugen. Von den Zeugen - die hier namentlich aufgeführten lotharischen Kapelläne werden in beiden Ausfertigungen der Bernhardurkunde summarisch als complures curię regis [!] Lotharii capellani bezeichnet; hingegen ist der offenbar gemeinte Bischof Anselm von Havelberg in der Bernhardurkunde zum Bischof von Brandenburg geworden - sind anderweitig zeitgenössisch belegt Bennico von St. Blasien: 1123/25-1134 (PETKE, Lothar S. 82), Ekkehard als Propst von Einbeck: (1130), 1134-1156 (PETKE, S. 60f.), und Bertolf als Lothars Kapellan-Notar: 1132-1137 (PETKE, S. 63ff., 85); über die Kapelläne Ludolf und Bruno/Berno vgl. PETKE, S. 85-87. Über Siegfried von Boyneburg († 1144) und den Grafen Hermann (1115-1134) vgl. PETKE, S. 240, 389ff., 395, 397f.; über Ludolf von Wöltingerode (1108, 1129 - † 1153) vgl. PETKE, S. 216, und PETKE, Die Grafen von Wöltingerode-Wohldenberg, 1971 S. 22-26. Über den Ministerialen Vogt Ludolf (1129-1147) vgl. VOGT, Herzogtum S. 80, H. LUBENOW, Die welfischen Ministerialen in Sachsen. Diss. phil. Kiel 1964 (Masch.) S. 169-171. Der Kämmerer Anno (von Heimburg) sowie Bertolf von Peine sind sonst seit 1143 beziehungsweise 1142 bezeugt, vgl. VOGT, S. 81, LUBENOW, S. 116f., 398. Der in der Bernhardurkunde als Gandersheimer Hochvogt genannte Siegfried von Boyneburg ist noch in der Urkunde der Äbtissin Adelheid von Gandersheim von 1188 als Gandersheimer Vogt erwähnt, vgl. G. KALLEN, Das Gandersheimer Vogteiweistum von 1188, Wiederabdruck in: G. KALLEN, Probleme der Rechtsordnung in Geschichte und Theorie, 1965 S. 98, H. GOETTING, Das reichsunmittelbare Kanonissenstift Gandersheim (Germania Sacra NF 7) 1973 S. 231. Anselm von Havelberg wurde 1129 zum Bischof geweiht, vgl. PETKE, Lothar S. 323. Zum ebenfalls bei Bernhard genannten Abt Dietrich I. von St. Michael (1125-40) vgl. JANICKE, a.a.O. S. 163 Nr. 183, S. 199 Nr. 220. Der Verfasser der Zeugenlisten der Bernhardurkunde und des angeblichen Diploms war also über um 1134 lebende Personen gut unterrichtet. Sofern er 1137 oder kurz danach arbeitete, mochte er sie noch persönlich gekannt haben. Jedoch je später er gearbeitet hat, stand ihm um so wahrscheinlicher wenn nicht ein Diplom, so zumindest eine Aufzeichnung über ein irgendwie geartetes Handeln des Herrschers zur Verfügung, aus der er die Namen der Zeugen sowohl für das Diplom als auch für die Bischofsurkunden sowie vielleicht auch Ort und Datum des ersteren schöpfen konnte. Für das in der Bernhardurkunde gezeichnete Chrismon mit seinem nicht fett gezeichneten Körper kommt allerdings kein Chrismon von Lothars Notar Thietmar A und von Ekkehard A allenfalls ein vor Lothars Aufbruch zum Romzug gezeichnetes Chrismon als mögliche Vorlage in Betracht, vgl. die Abb. bei KOCH, Schrift der Reichskanzlei Abb. 2, 6ff. Für das Monogramm wurde auf das dem Schreiber in Clus zugängliche zurückgegriffen, vgl. Reg. 185. Da der Fälscher bei der Formulierung eines auf den Kaiser lautenden Urkundentextes die Begriffe regalis, regni, regina nicht zu imperialis etc. erhöht sowie in der Bischofsurkunde von der curię regis Lotharii spricht, ist anzunehmen, daß ihm ein Text aus Lothars Königszeit vorgelegen hat, den er um solche Angaben von Ort und Datum ergänzte, die wegen der lückenhaften Itinerarbelege für den Herrscher weder bestätigt noch widerlegt werden können. Terminus a quo dieser Zeugenzusammenstellung ist das Jahr 1129, in dem Anselm von Havelberg zum Bischof geweiht wurde. Wir halten also vorliegendes Diplom gegen die Herausgeber HIRSCH und OTTENTHAL für eine Fälschung, deren Rechtsinhalt und deren Ort und Zeit nicht verbürgt sind; anders hingegen zuletzt WOLFGANG HEINEMANN, Das Bistum Hildesheim im Kräftespiel der Reichs- und Territorialpolitik vornehmlich des 12. Jahrhunderts, 1968 S. 150ff., PETKE, Grafen S. 278 mit Anm. 139, GOETTING, Brunshausen-Clus S. 201f. mit Anm. 5, GOETTING, Hildesheimer Bischöfe S. 349f., 367. Dagegen können die Namen der Zeugen und insbesondere die Nennung lotharischer Kapelläne nicht frei erfunden sein und sind wahrscheinlich aus einer dem Kloster Clus vorliegenden Aufzeichnung geschöpft, die aus Lothars Königszeit stammt. - Zur Wüstung †Nordliudolfshausen (nördl. Brunshausen) vgl. GOETTING, Brunshausen-Clus S. 24, 257, und H. KLEINAU, Geschichtliches Ortsverzeichnis des Landes Braunschweig, 1967-1968 S. 386 Nr. 1336.

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Empfohlene Zitierweise

RI IV,1,1 n. †388, in: Regesta Imperii Online,
URI: http://www.regesta-imperii.de/id/1134-01-25_1_0_4_1_1_388_F388
(Abgerufen am 28.03.2024).