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RI III Salisches Haus (1024-1125) - RI III,5,2

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Papst Leo IX. eröffnet (1) die zweite Sitzung der Synode wie am Vortag (vgl. n. 622) mit einer Liturgie, bestehend aus der Antiophon Exaudi nos Domine, einer vom Trierer Erzbischof (Eberhard) vorgetragenen Litanei und dem von einem Diakon vorgelesenen Evangelium Omnis arbor bona (Mt 7, 17); daraufhin fordert (2) der päpstliche Kanzler (Petrus Diaconus) den Erzbischof (Guido) von Reims auf, sich wegen der am Vortag erhobenen Beschuldigungen (vgl. n. 622.6) und anderer, gerüchteweise bekanntgewordener Vergehen zu verantworten, wonach der Erzbischof sich die Möglichkeit zur Beratung mit Bischöfen erbittet und schließlich den Bischof (Froland) von Senlis (episcopus Silvanectensis) zu seiner Verteidigung ausführen lässt, er sei der simonistischen Häresie nicht schuldig (non esse reum simoniacae haeresis); auf die Aufforderung des Papstes, die Unschuld durch den gleichen Eid zu beweisen wie Bischof Maximus von Salona vor Papst Gregor I. (apostolicus praecepit, ut haec ita esse sacramento probaret archiepiscopus mandans ... sententiam, qua Maximum Salonitanum ... sanxit Gregorius), fordert der Erzbischof erneut eine Bedenkzeit und wird daher zu seiner Verteidigung auf das Mitte April nächsten Jahres in Rom geplant Konzil geladen (ut medio Aprili mense, concilio, quod Romae celebrandum erat, interesset), die Behandlung der gegen ihn vorgebrachten Vorwürfe vertagt. Als nächster Tagesordnungspunkt wird (3) die Zugehörigkeit der Abtei Montier-en-Der (D. Châlons-en-Champagne) behandelt, von welcher der Papst als Bischof von Toul aufgrund vorgelegter Privilegien behauptet, dass sie zum Bistum Toul gehöre und diesem entzogen worden sei (super abbatia Dervensi d. papa conquestus est, quae Tullensi subtracta fuerat episcopio), wogegen der Erzbischof von Reims Einspruch einlegt indem er sagt, er könne aufgrund älterer Privilegien beweisen, dass das Kloster seiner Kirche gehöre; da die entsprechenden Urkunden jedoch nicht vorliegen, gibt der Papst den Auftrag, diese in den Archiven der Kirche von Reims zu suchen, und verschiebt die Verhandlung auf den nächsten Tag. Danach lässt (4) der Klerus von Tours durch den Erzbischof (Halinard) von Lyon als Vertreter seinen Streit mit dem Bischof von Dol (de-Bretagne) (Turonenses clerici per Lugdunensem archiepiscopum querelam intulerunt super Dolensi episcopo Britanniae) vortragen, welcher sich mit sieben weiteren Suffraganen vom Erzbistum Tours abgespalten habe und sich zu unrecht als Erzbischof bezeichne, weshalb der Bischof von Dol zur Verantwortung vor das im April in Rom zu feiernde Konzil geladen wird (Anselm: vocatus est ad consilium, quod ... medio mense Aprili, Romae erat celebrandum). Anschließend beschuldigt (5) der "Konzilspromotor" (Petrus) Diaconus den Bischof (Hugo) von Langres der Simonie, Trannei und sexueller Vergehen (diac. in episcopum Lingonensem invehitur, eumque episcopalem dignitatem per simoniacam haeresim obtinuisse, sacros ordines vendidisse); dem stimmen verschiedene der Anwesenden zu. Auf diese Vorwürfe hin erbittet Bischof (Hugo) die Erlaubnis, sich zu beraten, und erwählt die Erzbischöfe von Besançon und Lyon zu seinen Anwälten (episcopus consiliandi licentiam petit ... archiepiscopos Vesontionensem et Lugdunensem accersit); der Versuch des ersten, den Beschuldigten zu verteidigen, scheitert jedoch daran, dass ihm durch ein Wunder die Stimme versagt (Vesontionensis ... ad excusationem criminosi incongrua quaedam decerneret proponere, insperato sibi suffragium vocis divino sensit denegari numine), wonach der Erzbischof von Lyon als Beauftragter die Vorwürfe der Simonie und Erpressung gesteht, alle anderen Beschuldigungen jedoch zurückweist. Der Papst verschiebt (6) auch die Behandlung dieses Falles in Anbetracht der vorgerückten Stunde auf den nächsten Tag, lässt Kanones über die Simonie verlesen, darunter das zweite Kapitel des Konzils von Chalkedon, und vertagt die Synode (d. papa videns ... non posse ad plenum ... negotium ventilari, iam enim nox instabat ... lectaque sententia ... ex concilio Calcedonensi ... soluta est synodus, dilato usque in crastinum).

Überlieferung/Literatur

Erw.: vgl. Jasper, Konzilien (MG Concilia VIII) 229ff. Allgemein und zu (1) Anselm von Reims, Hist. dedicationis 15 (Hourlier 240ff.); zu dem in Reims angewandten Konzilsordo vgl. Schneider, Konzilsordines 505ff. (4) n. 775; Urkunde Innozenz' III. (1199 Juni 1) (Potthast 726) (Hageneder/Maleczek/Strnad, Register Innocenz' III. II 151ff., sc. 163). (5) Sanctis, qui sunt (Sudendorf, Berengar 234f.); Vita Leonis IX (Wibert-Vita) II 11 (4) (Krause, MG SS rer. Germ. 70/2007, 196); Chr. Aldenburgense parvum (MG SS XV/2 868); Bruno von Segni, Libellus de simoniacis 3 (Sackur, MG Ldl II 548f.); Sigebert von Gembloux, De viris illustribus § 153 (Witte 96, 1019); Alexander von Canterbury, Liber ex dictis b. Anselmi (Southern/ Schmitt 215f.); Flandria generosa (MG SS IX 320); Ancienne Chr. de Flandre (De Smet, Recueil des Chr. de Flandre II 41); Nicolaus von Siegen, Chr. eccl. (Wegele, Thüringische Geschichtsquellen II 224); Johannes Trithemius, Ann. Hirsaugienses 1053 (Mabillon I 194). Reg.: J p. 369; Martin, Bullaire de Lyon n. 242; Chevrier/Chaume, Chartes II 251; Diener, Itinerar Hugos von Cluny 358 n. 12; Kohnle, Abt Hugo 291 n. 17; Pontal, Conciles de la France 156; JL I p. 532. Lit.: allgemein und zu (1) Höfler, Deutsche Päpste II 47ff.; Gousset, Actes de la province ecclésiastique de Reims II 66; Hunkler, Leo IX. 133ff.; Duhamel, Pape Léon IX 242f.; Steindorff, Heinrich II 90; Brucker, L'Alsace II 13ff.; Bröcking, Französische Politik Leos IX. 23ff., 28ff.; Fournier, Premier manuel 197, 199 (ND Ders., Mélanges II 601, 603); Martin, Saint Léon 100f.; Drehmann, Simonie 10ff.; Hefele/Leclercq, Hist. des Conc. IV/2 1020f.; Guggenberger, Deutsche Päpste 50; Fliche, Réforme I 138ff.; Mann, Popes VI 60ff.; Becker, Investiturproblem 38; Capitani, Studi per Berengario 122, 131f., 135f.; Giet, Concile de Reims 35f.; Garreau, Saint Léon IX 92f.; Capitani, Immunità 169ff.; Vrégille, Hugues de Salins I 171f.; Vrégille, Hugues 139f.; Horwege, Bruno von Egisheim 37f., 78f.; Morelle, Concile de Reims et Montier 92ff., 99ff., 107ff.; Reuter, Pastorale Pedum 197ff., 209; Munier, Léon IX 127f.; Demouy, Genèse 397ff.; Cushing, Reform and Papacy 126f.; Bur, Léon IX et la France 235f., 248, 250; Jasper, Synoden Papst Leos IX. 606ff.; vgl. auch n. 622. (2) Schwabe, Abendmahlstreit 50. (3) Bouillevaux, Moines du Der 135f.; Voigt, Karolingische Klosterpolitik 18ff.; Choux, Recherches 24; Parisse, Noblesse lorraine I 18; Bur, Formation de Champagne 201; Neiske, Konvents und Totenlisten 258; Dahlhaus, Gesta ep. Tullensium 193; Parisse, Peuple 82; Bur, Der face aux princes 531, 533;2590, 592; Semmler, Montier-en-Der 87f.; Wood, Proprietary Church 827; Dahlhaus, Das bischöfliche Wirken 56; D'Agostino, Primato 126. (4) Merlet, Chr. de Nantes XXXII; Duine, Métropole de Bretagne 13; Rony, Saint Jubin 423; Devailly, Deux interventions pontificales 200; Guillotel, Bretagne et papauté 268. (5) Tellenbach, Libertas 122; Drioux, Un diocèse de France 33f.; Choux, Évêque de Toul 42; Southern, Gestaltende Kräfte 111; Brakel, Heiligenkulte 253f.; Berschin, Bonizo 96; Robinson, Friendship Network 6f.; Didier, Hugues de Breteuil 295f.; Schamper, S. Bénigne 115, 179; Hartmann, Centralismo papale 102f.; Decaens, L'évêque Yves de Sées 128; Iogna-Prat, Évrard de Breteuil 546; Vrégille, Léon IX et Bourgogne 337f.; Isaïa, Remi de Reims 717.

Kommentar

(1) Zu Liturgie und Datierung vgl. Anselm, Hist. Dedicationis 15 (Hourlier 240). (2) Zu der Vorgeschichte des Reinigungseides Erzbischof Guidos von Reims vgl. nn. 622.6, 625. Während dieser Sitzung beriet er sich mit Erzbischof (Hugo) von Besançon und den Bischöfen (Mainard) von Soissons, (Eusebius Bruno) von Angers, (Hugo) von Nevers, (Froland) von Senlis und (Drogo) von Thérouanne (Vesotionenesem, Suessionensem, Andegavensem, Nivernensem, Silvanectensem, Morinensem episcopos convocans, cum eis mysterium habuit consilii sui). Zum Vorbild des Bischofs Maximus von Salona vgl. S. Gregorii Magni Registrum, D. Norberg, 2 Bde. (Corp. Christ. 140, Turnhout 1982) II Appendix V 1096f. Von Bedeutung ist, worauf Bröcking 27f. hinweist, die Tatsache, dass damit, sowie mit den Vorladungen des Klerus der Bretagne und später anderer Prälaten (vgl. nn. 775, 626.2) die Funktion der römischen Kurie als Rechtsinstanz betont wird. Zur Fortsetzung des Verfahrens nn. 761, 803. Ob der Brief Bischof Eusebius Brunos von Angers und Graf Gottfrieds von Anjou an Erzbischof Guido von Reims (Erdmann/Fickermann, Briefsammlungen [MG Briefe der deutschen Kaiserzeit V] 144 n. 85) gerichtet ist und sich auf dessen Simonieverfahren bezieht, oder an Erzbischof Arnulf von Tours, wie Capitani, Studi per Berengario 129-153 darlegt, lässt sich nicht entscheiden. (3) Welche Urkunden der Papst zur Begründung seiner Ansprüche auf Montier-en-Der vorlegte, ist nicht klar (vgl. Voigt, Semmler); der Abt des Klosters war Teilnehmer der Synode (vgl. n. 622.3). (4) Zu dem schon seit dem 8. Jahrhundert schwelenden Streit der Bischöfe der Bretagne gegen ihren Metropoliten in Tours vgl. Böhmer/Herbers, Papstregesten n. 233, Böhmer/Zimmermann, Papstregesten n. 404; das durch die Vermittlung Halinards von Lyon vor der Synode eingeleitete Verfahren fand auf der römischen Frühjahrssynode 1050 seine Fortsetzung (vgl. n. 761) und führte schließlich zur Ausstellung eines Briefs durch Leo IX., der auch das Verfahren der Reimser Synode erwähnt (in Remensi concilio clamor huiusmodi delapsus est). (5) Anselm schildert ausführlich die Anklage des Kanzlers Petrus Diaconus gegen den Bischof von Langres, für welche vor dem Konzil Zeugen erschienen waren. Er weist auch ausdrücklich darauf hin, dass der Bischof noch am Vortag die Beschuldigungen gegen den Abt von Pothières vorgebracht hatte (vgl. n. 622.7); die Auswahl der Erzbischöfe von Lyon und Besançon als seine Verteidiger vor der Synode unterstreicht ebenso wie deren Beteiligung am Verfahren des Reimser Metropoliten und an der Klage gegen den Bischof von Dol, deren hervorragende Position in den Verhandlungen und ihre Nähe zum Papst. Die Tatsache, dass der Erzbischof von Besançon, vom Papst gezwungen (Vita Leonis), die Verteidigung Bischof Hugos von Langres dennoch nicht durchführen konnte, schildert die Vita Leonis zwar auch als Handlung des Erzbischofs, der Gott nicht durch falsche Ausreden beleidigen wollte, vor allem aber als miraculum, wie auch Anselm den Vorfall als durch die auf dem Altar ausgestellte Reliquie des hl. Remigius gewirktes Wunder auffasst (procul dubio magnus pater Remigius ... virum ... ne sceleratum defendendo delinqueret, usu loquendi privavit). Nach Aussage der Vita Leonis und Anselms (Hourlier 248) interpretierte der Papst selbst am dritten Tag der Synode das Verhalten Hugos von Besançon als durch den heiligen Remigius gewirktes Wunder (papa hoc miraculum meritis b. Remigii adscripsit) und sang danach mit der versammelten Synode einen Psalm zu dessen Ehren (vgl. n. 627). Bruno von Segni, Alexander von Canterbury, Flandria generosa und die Ancienne Chronique berichten den Vorgang in anderer Form, nämlich der Papst habe den (namentlich nicht genannten) beschuldigten Bischof seine Unschuld "im Namen des Vaters, des Sohnes und des hl. Geistes" beteuern lassen, wobei dieser die Sprache verloren habe. Es handelt sich hierbei um eine Verwechslung; im Rahmen des von Anselm von Reims und der Vita Leonis geschilderten Berichtes erzählen die genannten Quellen – wie Berschin und Robinson zeigen – einen Vorfall, der auf eine andere Synode zu beziehen ist (vgl. n. 1205). Der Bezug zum Bischof Nitger/Nizo von Freising durch Sigebert von Gembloux in seinem Autorenkatalog u.a. ist nicht historisch. Nitger/Nizo von Freising war in Reims nicht anwesend und sein Prozess fand erst später statt (vgl. n. 803.8). Zur Fortsetzung des Verfahrens gegen Hugo von Langres vgl. nn. 627.4, 761. (6) Das zweite Kapitel des Konzils von Chalkedon, das nach Anselms Darstellung auf Anordnung Leos IX. (ad praeceptum eius) zur Verlesung kam, befasst sich mit der Simonie und legt als Strafe dafür die Absetzung fest (Conciliorum oecumenicorum decreta, hg. von Giuseppe Alberigo [Bologna 1973] 87f.).

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Empfohlene Zitierweise

RI III,5,2 n. 626, in: Regesta Imperii Online,
URI: http://www.regesta-imperii.de/id/1049-10-04_2_0_3_5_2_298_626
(Abgerufen am 25.04.2024).