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RI I Karolinger 715-918 (926/962) - RI I,2,1

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Bündnisvertrag zwischen Karl und Ludwig (d. Dt.); sog. Straßburger Eide. 1. Karl und Ludwig (d. Dt.) halten vor dem versammelten Volk (circumfusam plebem) eine Rede übereinstimmenden Inhalts, zunächst Ludwig als der ältere in deutscher (teudisca) Sprache, in der er daran erinnert, daß Lothar (I.) ihn und seinen Bruder Karl nach dem Tode ihres Vaters (Ludwig d. Fr.) immer wieder verfolgt habe, ein Frieden unter ihnen nicht zu erreichen gewesen sei, sie daher ihre Sache einem Gottesurteil unterworfen hätten, aus dem sie siegreich hervorgegangen seien (Fontenoy, Reg. 216), Lothar sie jedoch weiterhin verfolge und ihr Volk zugrunde richte, und dann erklärt, sie beide seien daher notgedrungen zusammengekommen und hätten beschlossen, um die Zweifel ihres Volkes an ihrer dauerhaften Treue und Brüderlichkeit (stabili fide ac firma fraternitate) auszuräumen, sich öffentlich gegenseitig einen Eid (sacramentum inter nos) zu schwören, geleitet nicht von Gier, sondern um umso sicherer dem gemeinsamen Wohl zu dienen, sofern ihnen Gott mit Unterstützung des Volkes die Ruhe dazu gewähre; falls er aber, was ferne sei, dem seinen Bruder geschworenen Eid brechen sollte, so entbinde er jeden seiner Anhänger vom Gehorsam (subditione) und dem Eid (iuramento), den er ihm geschworen habe; danach spricht Karl dieselben Worte (eadem verba) in romanischer Sprache (romana lingua). 2. Karl und Ludwig schwören einander einen Eid, zunächst Ludwig als der ältere in romanischer Sprache, dann Karl in deutscher Sprache, treu zum Bruder zu stehen und mit Lothar keine Abmachungen zu treffen, die dem Bruder schaden. 3. Karls und Ludwigs Anhänger (utrorumque populus) schwören jeweils in der eigenen Sprache, ihrem Herrn, falls er seinen Eid gegenüber dem Bruder brechen sollte und sie ihn nicht davon abhalten könnten, keinen Beistand gegenüber seinem Bruder zu leisten.

Originaldatierung:
(XVI. Kal. Mar.)

Überlieferung/Literatur

Nithard III, c. 5, ed. Lauer, S. 102-108 (Abb. der zentralen Passagen ebd., nach S. XX); Ann. Bertiniani, ad a. 842, ed. Grat, S. 40; vgl. auch das Schreiben der Synode von Quierzy an Ludwig d. Dt. von 858 November, ed. Hartmann, MGH Conc. III, Nr. 41 S. 403-427, hier S. 413 Z. 12-14; Libellus proclamationis domini Karoli regis adversus Wenilonem archiepiscopum Senonum (859 Juni 14), ed. Hartmann, ebd., Nr. 47 S. 464-467, hier S. 464 Z. 19-25. Edition der häufig gedruckten Rede der Könige und der Eide auch in: MGH Capit. II, Nr. 247 S. 171f. (zu Februar 11); Steinmeyer, Die kleineren althochdeutschen Sprachdenkmäler, Nr. 15 S. 82-84. -- Vgl. Georgisch I, Nr. 2/842, Sp. 100; Bréquigny I, S. 206; BM2 1370d.

Kommentar

Während die Ann. Bertiniani die gegenseitigen Eidesleistungen der Könige erwähnen und den Inhalt der Eide der fideles wiedergeben, überliefert Nithard ausführlich den Text der von beiden Königen in ihrer Sprache gehaltenen Reden in lateinischer Fassung, die von ihnen geschworenen Eide ebenso wie die des Gefolges (Nithard später, S. 108: primores populi) in beiden Sprachen, romanisch (altfranzösisch) wie (althoch-) deutsch. Nicht sicher ist, ob das Schreiben der Synode von Quierzy an Ludwig d. Dt. von 858 November und der „Libellus proclamationis“ Karls gegen Wenilo von 859 auf die Straßburger Eide oder den Vertrag von Verdun (Reg. 368) anspielen. -- Vgl. umfassend zur Sache besonders Schmidt-Wiegand, in: Verfasserlexikon 2IX (1995), Sp. 377-380 (Lit.); vgl. noch Hoke, in: HRG V (1998), Sp. 29-31; Sonderegger, in: LexMA VIII (1997), Sp. 219f. -- Dem Bündnisschluß (pactum, Nithard, S. 108) und insbesondere der Formulierung der Rede wie der Eidestexte müssen intensive Verhandlungen vorausgegangen sein, die vielleicht schon vor dem Zusammentreffen der Könige über Boten geführt und an Ort und Stelle abgeschlossen wurden. Die Anwesenheit der Kanzlei Karls, insbesondere Ludwigs von Saint-Denis und des Notars Jonas, nimmt unter Hinweis auf das nur wenige Tage später ausgestellte D 9 wohl zu Recht Becker, Untersuchungen, S. 92f., an, außerdem waren ihm zufolge Nithard, Hugo und vermutlich Erzbischof Drogo anwesend, vielleicht auch Erzbischof Wenilo von Sens, wie aus dem in Savonnières 859 von Karl gegen Wenilo vorgelegten „Libellus proclamationis“ (MGH Conc. III, S. 464) hervorgehen könnte; vgl. dazu Krah, Die Entstehung, S. 135f. m. Anm. 306. -- Zu Karls Heer gehörten u. a. bretonische Kontingente, wie man aus ihrer Teilnahme an den späteren Reiterspielen (Reg. 292) weiß; vgl. Guillotel, Le temps des rois, S. 258; Smith, Province and empire, S. 93. -- Vgl. noch Meyer von Knonau, Über Nithards vier Bücher, S. 37f.; Dümmler, Geschichte I, S. 171f.; BM2 1091a; Lot / Halphen, S. 47f.; Classen, Die Verträge, S. 9f.; Schneider, Brüdergemeine, S. 138-140; Patze, Iustitia, S. 161; Magnou-Nortier, Foi et fidélité, S. 86-88; Kolmer, Promissorische Eide, S. 117f., 221, 266f., 351; Nelson, Public Histories, S. 266f.; McKitterick, Latin and Romance, S. 138f.; Schieffer, Die Karolinger, S. 141; Nelson, Charles the Bald, S. 122f.; Fried, Der Weg in die Geschichte, S. 370f.; Nelson, The search for peace, S. 109; Krah, Die Entstehung, S. 132-138; Hartmann, Ludwig, S. 37.

Nachträge

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Empfohlene Zitierweise

RI I,2,1 n. 283, in: Regesta Imperii Online,
URI: http://www.regesta-imperii.de/id/0842-02-14_2_0_1_2_1_283_283
(Abgerufen am 29.03.2024).