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RI I Karolinger 715-918 (926/962) - RI I,3,4

Displaying record 456 of 571.

Ludwig bestätigt (reconfirmativo precepto ... concedimus) dem Bistum Avignon (ecclesiḝ protomartyris Christi Stephani Avenionensis sedis) unter Bischof Remigius sowie den dort dienenden (Klerikern) (tam ecclesia quam ei deservientes potestate) auf Bitten des Grafen Boso, nosterque karissimus propinquus, die Übertragung der Abtei Saint-Ruf (abbatiam beati Rufi) durch seinen Vater (munificentia clementis genitoris nostri ... collatam) (vgl. Reg. 2794). – Pön 10 Pfund Gold. – MF. – Ohne Rekognitionszeile und Datierung.

Incipit:
Si vestigiis predecessorum

Archival History/Literature

Angebliches Or. Avignon, Arch. dép. du Vaucluse, 1 G 6 pièce n. 4 (A). – Zahlreiche Kopien 17. Jh., die alle direkt oder indirekt auf A zurückgehen, darunter auch Avignon, Arch. dép. du Vaucluse, 1 G 127: „Diversorum Avenionis“, 1. Hälfte 17. Jh., fol. 30r-v (vormals 24r-v), verzeichnet Prou-Poupardin, Recueil, S. 94. Vgl. München, MGH-Archiv A 116, Kopie W. Arndt vom 14. 11. 1868, aus A (mit Kommentar).

Faksimile: Lot/Lauer, Diplomata Karolinorum, Taf. 17 (Rois de Provence Nr. 17), mit Regest.

Drucke: Bouche, Provence, I, S. 934 = Bouquet, Recueil 9, Nr. 14 S. 683 – 684; Prou-Poupardin, Recueil, Nr. 51 S. 94 – 95; ARTEM *907.

Regg.: Bréquigny, Diplomata, I, S. 371, zu 909; Chevalier, Regeste Dauphinois, Nr. 1001, zu „(909)“.

Commentary

Die chronologische Einordnung basiert auf den ungefähren Amtsdaten des Remigius von Avignon, der 907 Oktober (D 49 = Reg. 2932) und 910 Mai nachweisbar ist und spätestens 912 in Fulcher einen Nachfolger gefunden hat (D 53 = Reg. 2943); vgl. Manteyer, Marche de Provence, S. 61f. – Poupardin und, ihm folgend Lot/Lauer, hielten D 51 übereinstimmend für ein Pseudo-Original („Original prétendu“), wobei sich Poupardin bei seinem negativen Verdikt weniger auf die fehlenden Rekognitionszeile und Datierung gestützt hat als vielmehr auf auffällige stilistische Merkmale und die ungewöhnliche Schrift mit ihren aus der gleichzeitigen Buchschrift bekannten Formen von a und o, die zumindest in der Urkundenminuskel um 900 noch wenig verbreitet seien (hinzufügen könnte man als jüngeres Schriftmerkmal noch die markante Brechung der Schäfte in vielen n und m). Zu Motiven und der Entstehungszeit des angeblichen Pseudo-Originals hat sich Poupardin nicht geäußert. Neuerdings hat Vones-Liebenstein, Débuts, S. 22f., sowie Dies., Saint-Ruf I, S. 235f., unser Stück für eine Fälschung aus dem zweiten Viertel des 12. Jahrhunderts unter dem Saint-Ruf feindlich gesonnenen Bischof Leodegar von Avignon (1124-1142) gehalten, als das Domkapitel versucht habe, alte Rechte auf Saint-Ruf wieder geltend zu machen. Man konnte sich dabei im Domkapitel auf ein unzweifelhaft echtes Präzept Ludwigs des Blinden für den Nachfolger des Remigius, Fulcher, stützen, dem dieser Saint-Ruf 917 tatsächlich übertragen hatte (D 55/Reg. 2951). Sachlich neu hinzugekommen ist in unserem D 51 nur ein Passus, in dem die Besitzrechte an Saint-Ruf nicht nur der Kathedrale, sondern auch den dort dienenden Klerikern verliehen werden (eandem abbatiam possideant tam ecclesia quam ei deservientes potestate). Gegen ein vorschnelles Fälschungsverdikt spricht aber die Beobachtung, daß D 55 nicht für die Textherstellung unseres Pseudo-Originals herangezogen wurde. D 51 ist vielmehr frei stilisiert worden, wobei es sich durchaus an den zeitgenössischen Formularrahmen der Urkunden Ludwigs des Blinden anlehnt. Plausibel, weil stilistisch und sachlich korrekt, ist auch die ehrenhafte (nosterque karissimus propinquus) Erwähnung des intervenierenden Grafen Boso, des Bruders Hugos von Vienne (vgl. Böhmer-Zielinski III, Nr. 1447), der als Graf von Avignon mehrfach bezeugt ist; vgl. bes. D 53 (Reg. 2943); siehe auch Regg. 2951 u. 2954. Auffälliger sind einzelne, schon von Poupardin detailliert aufgezählte Wendungen im Kontext. Bedenken erweckt neben der arg verkürzten Intitulatio: Ludowicus imperator augustus, auch die singuläre Arenga (Hausmann/Gawlik, Arengenverzeichnis, Nr. 3740), die in ihren zentralen Begriffen eher an die Sprache der Prooemien in salisch-staufischer Zeit erinnert (vgl. ebd., Nr. 1788, 2397, 2402). Was die äußeren Merkmale betrifft, ist die in gekonnter Elongata mit markantem Eingangschrismon, das an das Chrismon in den Originalen des Notars Arnulf erinnert (DD 38, 41, 44 = Regg. 2907, 2917, 2921), gestaltete erste Zeile kaum zu beanstanden. Dagegen ist die schon von Poupardin monierte, in normaler (nur geringfügig vergrößerter) Kontextschrift gehaltene Signumzeile für eine Kanzleiausfertigung ganz unüblich. Daß Rekognition und Datierung fehlen, spricht für sich genommen eher für eine echte Vorlage – man könnte an eine unvollzogene Empfängerausfertigung denken – als für eine Fälschung – warum sollte ein Fälscher, dem zweifellos eine echte Urkunde Ludwigs des Blinden vorlag, diese Teile weggelassen haben? Festzuhalten bleibt abschließend, daß D 51 keine Kanzleiausfertigung ist, sondern eine formale Fälschung, die erst geraume Zeit später mit dem Anspruch fabriziert worden ist, ein Original zu sein. Als Vorlage diente aber nicht das erhaltene D 55, sondern möglicherweise eine weitere Urkunde Ludwigs des Blinden, die vielleicht vom Notar Arnulf stammte, aus irgendwelchen Gründen unvollzogen blieb und durch den Fälscher stilistisch abgeändert und interpoliert worden ist. Ob schon in der Vorlage die Übertragung von Saint-Ruf an das Bistum Avignon geregelt war, muß offen bleiben. Die Schriftmerkmale lassen eine Entstehung der Fälschung während der Amtszeit des Bischofs Leodegar von Avignon (1124 – 1142), die Vones-Liebenstein, Saint-Ruf I, S. 235 Anm. 4, annimmt (sie stützt sich dabei auf Manteyer, Marche, bes. S. 37 – 39, der die Schlußredaktion des ältesten Chartulars von Avignon, des sogen. „Liber Sorgiae“, wo unser Stück noch fehlt, in die Amtszeit des Vorgängers des Leodegar, Bischof Arbert [† 1122], gelegt hatte), zumindest nicht ausgeschlossen erscheinen. – Das genannte Deperditum Königs Bosos (Reg. 2794) ist von Poupardin nicht berücksichtigt worden. Auch fehlt D 51 bei Manteyer, Chartes d’Avignon.

Nachträge

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Cite as:

RI I,3,4 n. 2938, in: Regesta Imperii Online,
URI: http://www.regesta-imperii.de/id/db3b0571-a8f5-42b0-aa26-70ef86b6f97a
(Accessed on 29.03.2024).